Altersdiskriminierung – ein Tabu

Georg Wimmer beleuchtet in seiner Expertenstimme die Situation von älteren Menschen in Salzburg im Zusammenhang mit den alltäglichen Geschäften und geht der Frage nach, ob Alter – außerhalb der Arbeitswelt – als Diskriminierungsgrund anerkannt ist.

Autor: Georg Wimmer ist Mitarbeiter der Plattform für Menschenrechte, freier Journalist und Übersetzer für Leichte Sprache

Thema April 2020

Auch in Salzburg ist die systematische Benachteiligung von älteren Menschen an der Tagesordnung. Versicherungen kündigen Verträge, Banken sperren den Überziehungsrahmen. Rechtlich lässt sich dagegen nichts tun. Im Gleichbehandlungsgesetz ist Alter – außerhalb der Arbeitswelt - nicht als Diskriminierungsgrund anerkannt.

18 Jahre lang hatte Anna Neisser gewissenhaft die Beiträge für ihre Generali-Betriebsausfalls­versicherung bezahlt. Als freiberufliche Consulterin wollte sie im Fall einer längeren Krankheit abgesichert sein. 2017 konnte die Salzburgerin aufgrund einer Tumorerkrankung tatsächlich drei Monate lang nicht arbeiten. Als sie dafür rund 3.000 Euro Schadensgeld für den Betriebsausfall gelten machen wollte, wurde ihr von allen Seiten davon abgeraten. Auch von ihrem Versicherungsmakler.

In "ihrem Alter" würde die Versicherung den Vertrag sofort kündigen, lautete die Warnung. "Was soll das für eine Versicherung sein, die so etwas Unmoralisches macht", dachte sich Anna Neisser. Und stellte den Antrag. Sie erhielt das Schadensgeld. Und kurz darauf ein Schreiben von Generali. Inhalt: Kündigung des Vertrages, ohne Angabe von Gründen. Auf Anfrage der Plattform für Menschenrechte erklärte Generali später, die Kündigung der Polizze sei "aus rein versicherungstechnischen Gründen" erfolgt. Anna Neisser stand jedenfalls 6 Jahre vor ihrer Pensionierung plötzlich ohne Absicherung da. An Beiträgen hatte sie bis dahin 11.000 Euro eingezahlt. Klar war auch: Eine andere Versicherung würde sie in "ihrem Alter" kaum nehmen.

Rechtlich ist diese Vorgangsweise der Versicherung gedeckt. Laut Gleichbehandlungsgesetz stellt eine Diskriminierung aufgrund des Alters außerhalb der Arbeitswelt keinen Tatbestand dar. Versicherungen und Banken nutzen diese Gesetzeslücke weidlich aus. Bankkunden bekommen ab einem bestimmten Alter keine Kredite mehr oder dürfen ihr Konto nicht überziehen.

Versicherungen kürzen ihre Leistungen, sobald die Versicherten ein bestimmtes Alter erreicht haben – egal, welche Summe bis dahin eingezahlt wurde. Egal, ob bis dahin überhaupt schon einmal ein Leistung in Anspruch genommen wurde. Die Bestimmungen werden den Betroffenen mehr oder weniger transparent kommuniziert.

Im Vertrag der Salzburgerin Helene Toman für eine Uniqua-Unfallversicherung findet sich der Punkt "Änderung der Versicherungssumme ab dem 70. Lebensjahr" im Kleingedruckten zwischen den Punkten "Luftsport" und "Unfallversicherung plus". Dort heißt es:

"Ab dem 70. Lebensjahr der versicherten Person reduzieren sich – während der Laufzeit des Versicherungsvertrages – die Versicherungssummen bei gleichbleibender Prämie um ein Fünftel. Die Umstellung erfolgt automatisch mit dem Tag des 70. Geburtstages. Es besteht jedoch die Möglichkeit, die zum Zeitpunkt der Umstellung gültigen Versicherungssummen zu beantragen. Die Prämie erhöht sich dadurch um 25 %."

Obwohl die Frau bei der Vertragsunterzeichnung schon über 60 Jahre alt war, hatte der Versicherungsvertreter sie auf diesen Punkt nicht hingewiesen.

Diskriminierung aufgrund des Alters ist rechtlich einwandfrei

Beim so genannten "Zugang zu Gütern und Dienstleistungen" gibt es weiterhin keine einklagbaren Rechte auf Gleichbehandlung, auf die sich ältere Menschen berufen könnten. Die Forderung der Volksanwaltschaft nach gleichem Diskriminierungsschutz für alle Men­schen ist bis jetzt unerfüllt geblieben.

Die Novellierung des Gleichbehandlungsgesetzes scheiterte zuletzt im März 2015. Und das, obwohl UN-Kommissarin Rosa Kornfeld-Matte kurz davor in einem Bericht zu Österreich ausdrücklich empfohlen hatte, den Ausschluss von älteren Personen bei der Kreditvergabe oder im Versicherungswesen zu beseitigen. Das Alter werde hier unverhältensmäßig als Risikofaktor herangezogen. Dabei ist Altersdiskriminierung kein spezifisch österreichisches oder salzburgerisches Problem.

Bei der Antidiskrimierungsstelle in der Steiermark hat sich die Zahl der Betroffene zwischen 2012 und 2017 vervierfacht. In Deutschland ist die Zahl der Beschwerden über Altersdiskriminierung beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen dramatisch gestiegen. Das betrifft vor allem Versicherungen für Kfz und Auslandsreisen.

Die gestiegenen Zahlen haben sicher auch mit einem geänderten Bewusstsein zu tun.

"Nachdem wir Altersdiskriminierung in der Öffentlichkeit zum Thema gemacht haben, haben sich deutlich mehr Betroffene bei uns gemeldet", sagt Daniela Grabowac von der Anti-Diskriminierungsstelle in der Steiermark. "Viele Menschen war gar nicht bewusst, dass sie diskriminiert werden. Andere haben sich geschämt und deshalb nicht viel Aufhebens darum gemacht."

Im Bundesland Salzburg ist das Thema Altersdiskriminierung eher ein Tabu. Die Medien berichten nicht darüber, bei den zwei größten Seniorenverbänden in Salzburg – dem Seniorenbund und dem Pensionistenverband – gibt es auf Nachfrage die gleichlautende Antwort: Das Problem mit den Versicherungen sei bekannt. Andererseits, so die beiden Geschäftsführer unisono, hätte sich in den letzten Jahren keine einzige Person an sie gewandt, weil sie aufgrund des Alters diskriminiert worden sei.

Scheinbar neutrale Klauseln zielen auf ältere Menschen

Tatsächlich ist der Grund einer Diskriminierung nicht immer leicht festzumachen. Zum Teil handelt es sich um so genannte indirekte Diskriminierungen. Dies betrifft scheinbar neutrale Bestimmungen, die letztlich aber genau die Gruppe der älteren Personen betreffen. So beinhalten Krankenzusatzversicherungen häufig die Klausel, dass die Versicherung bei einer Demenz-Erkrankungen aussteigt. Es gibt dann keine Versorgung auf Klasse mehr. Von Demenz-Erkrankungen sind aber in erster Linie ältere Menschen betroffen.

"Wir sind immer wieder mit solchen Fällen konfrontiert", berichtet Norbert Krammer vom Salzburger Vertretungsnetzwerk. "Nur in Einzelfällen konnten wir nach Interventionen erreichen, dass die Versicherungen ihre Leistungen im vollen Umfang erbringen."

Indirekte Diskriminierungen aufgrund des Alters zeigen sich auch im Bereich Pflichtversicherung. Dem Frühpensionisten Albert Reichl erklärte die die Krankenkasse, für seine Beschwerden gebe es zwar ein besseres Hörgerät, dieses werde aber nur an Berufstätige verschrieben.

Hörbeschwerden treffen wiederum zu einem sehr hohen Prozentsatz ältere Menschen. So auch im Fall von Christine Ammerer, die aufgrund ihres Pensionistinnen-Status ebenfalls ein schlechteres Hörgerät erhielt. Hinzu kam: Die Frau wurde von ihrem Orthopäden ins Krankenhaus geschickt, weil dieser eine Meniskus-Operation für dringend erforderlich hielt. Der Arzt im Krankenhaus war anderer Ansicht. Für sie als Pensionistin, entschied er, sei es nicht unbedingt nötig, dass sie gut gehen kann.