"Fliegenfischen oder Herr Bert und der Fetzenfisch" – Ein Film zur Gewaltprävention gegenüber älteren Menschen, speziell im Zusammenhang mit Demenz

Portrait Brigitte Tauchner

Eine Produktion von SOG Theater, die von der Welt und den Erlebnissen eines alten Mannes auf seinem Weg in die Vergesslichkeit erzählt. Der Film konnte mit Förderung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz realisiert werden, begleitet durch die Expertise von Dr.in Margit Scholta (Pro Senectute), Dr. Gert Dressel (Verein Sorgenetz) und Dr. Josef Hörl (Universität Wien).

Autorin: Brigitte Tauchner, Operative und künstlerische Leitung von SOG Theater, Theaterpädagogin, Trainerin in der Erwachsenenbildung, Moderatorin, Basisbildnerin und Coach

Thema März 2022

Der alten Frau waren die Erinnerungen einfach weggeblieben. Als leerte jemand eine Requisitenkammer im Theater: Langsam verschwanden die Kostüme, die Kulissen, Dekorationen und die sonstigen Versatzstücke. Doch wie ein guter Schauspieler das Rauschen und Fallen der Seiden-, Tuch- und Stoffbahnen für immer behält und nie vergisst, wie sich Taft und Samt anfühlen, wie Pappmaschee, Leim und furniertes Holz riechen, wie Pokale und Kristallkelche klingen, wie Sägemehl und Leidenschaft schmecken und wie die farbigen Scheinwerfer die agierenden Mimen mit Glanz und Glimmer überstrahlen, so bewahrte der Körper der Frau unerschütterlich die in den geleerten Requisitenkammern unbemerkt gespeicherten Erinnerungen weiter auf. Statt des Bewusstseins erinnerten sich ihre Nase, der Gaumen, die Zungenspitze, Ohren und Augen und vor allem die Haut. (Aus "Acht Minuten", Peter Farkas)

Wir werden immer älter und das aktiver, gesünder und lebenslustiger. Im Marketing sprechen wir von der Generation Gold, den Best Agern, Productive Aging ist auch am Arbeitsmarkt angekommen. Alles gut also? Wenn da nicht diese Demenz wäre. In Österreich leben an die 130.000 Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen, Tendenz steigend. Mit betroffen sind hunderttausende Angehörige. Und dennoch sprechen wir noch immer von einem Tabuthema. Es will ja nicht in diese wunderbare Vorstellung vom aktiven, gesunden Lebensabend passen.

Kennen sie den Fetzenfisch? Er sieht eigentlich mehr nach Pflanze, als nach Fisch aus. Er ist bunt, aber ein bisschen zottelig. Die Fetzen tarnen ihn perfekt gegen seine Feinde. Wir haben den Fetzenfisch als Synonym für die Demenz gewählt. Anders, für uns unverständlich, nimmt Herbert Wiesinger das Außen war. Vieles stresst ihn, umso mehr zieht er sich in seine Welt zurück. Sie ist bunt und abenteuerlich und auch ein bisschen zottelig. Und natürlich passt es nicht zu unserer Vorstellung von Sauberkeit und Ordnung, von Struktur und Vernunft. Diese Diskrepanz, mangelndes Verständnis für die Krankheit und Überforderung in der Betreuung, können nicht nur Konflikte entstehen lassen, sondern auch das Gewaltpotential erhöhen.

Wenn ein Familienmitglied an Demenz erkrankt, ist nicht nur die Person selbst, sondern das ganze Umfeld betroffen. Denn wenn das Gedächtnis schwindet, verändert sich zwangsläufig auch die Beziehung zwischen den Menschen. Viele betreuende Angehörige fühlen sich mit der Situation überfordert, allein gelassen und isoliert. Die Betreuung von Menschen mit Demenz erfordert viel Geduld, Verständnis und Wissen um die Krankheit. Das Konflikt- und Gewaltpotential ist gerade in dieser pflegerischen Situation besonders hoch. Fliegenfischen - Theater und Fachinformation wurde in den letzten Jahren in zahlreichen Pflegeinstitutionen, Gesundheits- und Krankenpflegeschulen und in Theatern gezeigt. Das Theaterstück wurde vom Publikum als sehr berührend erlebt und ermutigte es, im Anschluss in einen sehr intensiven Austausch zum Thema zu gehen. Mit der Produktion des Films "Fliegenfischen" soll die Wirkkraft des Stückes einer breiteren Öffentlichkeit zugängig gemacht werden. (Brigitte Tauchner, SOG Theater)

Ausschnitt aus dem Film

Der Film "Herr Bert und der Fetzenfisch" erzählt von der Welt und den Erlebnissen eines alten Mannes auf seinem Weg in die Vergesslichkeit. Seine erwachsene Tochter Maria, von den scharf beobachtenden Nachbar*innen nach dem Tod der Mutter sogleich zur pflegenden Angehörigen bestimmt ("gut, dass er eine Tochter hat"), begleitet ihn und sie bemüht sich, alles "richtig" zu machen, obwohl ihr der Vater deutlich zu verstehen gibt, dass er ihre Schwester für viel hübscher und erfolgreicher hält. Sie erlebt die emotionale Bürde betreuender Kinder, die auch noch als Erwachsene vergeblich um die Liebe und Anerkennung der Eltern kämpfen.

Auch Herr Bert sucht Anerkennung: mit Eifer und Hingabe "fängt" er einen Fisch in seinem Wohnzimmer, bereitet ihn zu und ist zutiefst gekränkt und enttäuscht, weil Maria ihn nicht lobt und stolz auf ihn ist. Stattdessen beginnt sie wie so oft die Wohnung aufzuräumen und zerstört damit seine Ordnung, die ihm Orientierung und Sicherheit gibt.

Erinnerungen an das gelebte Leben blitzen auf, wenn er im Fotoalbum blättert oder mit dem Straßenmusikanten fehlerfrei ein Lied aus früheren Zeiten singt. Gegen die verstörenden Erlebnisse, die aus der Vergangenheit auftauchen, kann sich Herr Bert aufgrund seiner Demenz nicht wehren.
Diagnose Demenz. Der Film öffnet behutsam und mit viel Respekt den Blick auf einen alten Mann und sein Umfeld. Alle wollen mit ihren Wünschen und Bedürfnissen wahr genommen werden. (Drin. Margit Scholta, Pro Senectute)

SOG Theater widmet sich mit seinen Theaterformaten seit vielen Jahren den Themen Ältere Generation, Gesundheit und Pflege. Wir wollen mit der Ästhetik des Theaters auf der emotionalen Ebene ansprechen, lernen, in den Schuhen der Anderen zu gehen, die Herausforderungen aller Betroffenen wahrnehmen und vor allem gewaltpräventiv wirken. Mit Fliegenfischen will SOG Theater einen Beitrag für eine demenzfreundliche Gesellschaft leisten, die ihre Lebenswelten so gestaltet, dass Berührungsängste abgebaut werden, eine Kultur des Miteinanders und der Begegnung möglich wird.

Theater in seinen unterschiedlichen Formen und Facetten spricht nicht nur die Verstandes-, sondern auch die Gefühlsebene an. Berühren und berührt werden, spüren und gespürt werden, wahrnehmen und wahrgenommen werden, eingebettet in einen behutsamen, ästhetischen, rituellen Rahmen, öffnet Räume für Kreativität, Potential, Selbstvertrauen und Mut. Mit unseren Konzepten, Formaten und Projekten wollen wir Verständnis und Verstehen ermöglichen, sichtbar machen, Reflexion und Bewusstmachung fördern, ermutigen, anregen, im Dialog und in der Diskussion entwickeln. Für Teilhabe, Empowerment und eine Kultur des Sorgens.

Angebote

  • Fliegenfischen – Der Film steht als DVD mit begleitendem Booklet zur Verfügung
  • Fliegenfischen – Film und Erzählkreis für pflegende Angehörige
    Im Anschluss an die Filmvorführung sind Betroffene eingeladen, in einem moderierten Erzählkreis über ihre eigenen Erfahrungen zu berichten. Es eröffnet sich die Möglichkeit, die eigenen Erlebnisse zu teilen und Gehör zu finden. Die Besucher:innen erhalten Zugang zu Informationen und Unterstützungsangeboten und die Möglichkeit sich lokal zu vernetzen. Begleitet von Experten/Expertinnen für lebensgeschichtliches Erzählen und Biografiearbeit
  • Fliegenfischen – Film und Fachinformation
    Dieses Veranstaltungskonzept bietet Weiterbildung zum Thema Leben mit Demenz, Austausch und Vernetzung von Pflegenden untereinander, sowie ein Kennenlernen von unterstützenden Organisationen und Angeboten vor Ort. Je nach Zielgruppe und Veranstaltungsschwerpunkt können im Anschluss an den Film Referent*innen zu folgenden Themen eingeladen werden:
    • In den Schuhen des Anderen gehen – Validation als Haltung
    • Die eigene Geschichte – Biografie und Erinnerungsarbeit
    • Die Nase, die Zungenspitze und die Haut – Wenn die Sprache verloren geht
    • Selbstfürsorge – Pflegen ohne Selbstaufgabe
    • Mobile Kräfte – Zur Situation von 24 Stunden Betreuer:innen aus dem In- und Ausland
    • Demenz – Ursachen, Risiken, Verlaufsformen und Behandlungsmöglichkeiten
    • Gewalt an älteren Menschen – Risikofaktoren sowie Möglichkeiten der Prävention

Kontakt

SOG Theater Zentrum für Theaterpädagogik und strategische Inszenierung
Bahngasse 46
2700 Wr. Neustadt
Telefon: +43 2622 87031, +43 664 3147991
E-Mail: office@sog-theater.at 

Literatur

  • [1] Péter Farkas: Acht Minuten Btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, 2013
  • [2] Marie Peterson: Du denkst, du weißt alles. Atrium Verlag AG, 2006
  • [3] Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil. Hanser, 2011
  • [4] Pam Schweitzer, Errollyn Bruce: Das Reminiszenzbuch. Praxisleitfaden zur Biografie- und Erinnerungsarbeit mit alten Menschen Bern Huber, 2010
  • [5] Angelika Trilling, Errollyn Bruce, Sarah Hodgson, Pam Schweitzer: Erinnerungen pflegen. Unterstützung und Entlastung für Pflegende und Menschen mit Demenz Vincentz, 2001
  • [6] Naomi Feil, Vicki de Klerk-Rubin: Validation Ernst Reinhardt Verlag, 2017
  • [7] Wenzel Müller, Peter Dal-Bianco: Alzheimer VKI, 2017
  • [8] Angelika U. Reutter: Wenn die Worte fehlen Scorpio, 2017

Weiterführende Informationen