3. Gewaltschutzgesetz – Anzeigepflicht für klinische Psycholog:innen, Gesundheitspsycholog:innen und (Musik-)Psychotherapeut:innen, sowie die sicherheitspolizeiliche Fallkonferenz

In diesem Beitrag werden die Neuerungen der Anzeigepflicht durch das Gewaltschutzgesetz 2019 und die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen nach dem Sicherheitspolizeigesetz untersucht.

Autor: Rechtsanwältin Dr.in Sandra Wehinger-Albrecht war von 2005 - 2007 Juristin in der (damaligen) ifs Interventionsstelle und psychosoziale Prozessbegleiterin, seit 2007 ist sie juristische Prozessbegleiterin und seit 2011 in der Liste der Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen eingetragen (Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft).

Thema April 2022

Mit dem Gewaltschutzgesetz 2019 wurde die Anzeigepflicht für Gesundheitsberufe neu geregelt und vereinheitlicht. Seit 30. Oktober 2019 sind erstmalig auch klinische Psychologen und Psychologinnen / Gesundheitspsychologen und -psychologinnen sowie (Musik-)Psychotherapeuten und -therapeutinnen von einer Anzeigepflicht betroffen.

Für wen gilt die Anzeigepflicht?

Die Anzeigepflicht besteht für Berufsangehörige - das heißt in der Berufsliste eingetragene Personen - in Ausübung ihrer einschlägigen beruflichen Tätigkeit (bspw. Behandlung von Klienten und Klientinnen).

Im einschlägigen Beratungskontext des:der Berufsangehörigen tritt ein begründeter Verdacht auf, dass eine bestimmte Person auf Grund bestimmter Tatsachen, für eine der nachstehend angeführten gerichtlich strafbaren Handlungen verantwortlich ist:

  • Tod, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung
  • Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung, sexueller Missbrauch von Minderjährigen / wehrlosen oder zum Zeitpunkt der Tat nicht handlungs- oder entscheidungsfähigen volljährigen Personen

Ein begründeter Verdacht liegt erst vor, wenn er von der Fachperson im eigenen Beratungskontext bejaht wird (etwa: Erzählungen von einer Straftat durch den Klienten oder der Klientin oder Erzählungen von einer Straftat durch Dritte und Wahrnehmungen im eigenen Beratungskontext, die mit Erzählungen in Einklang zu bringen sind).

Was, wenn Voraussetzungen vorliegen?

In diesem Fall hat sich der:die Berufsangehörige zwingend mit der Anzeigepflicht auseinander zu setzen (Berufspflicht!). Das heißt aber nicht, dass bei einem begründeten Verdacht zwangsläufig eine Anzeige erstattet werden muss, da der Gesetzgeber - aus guten Gründen - großzügige Ausnahmen von der Anzeigepflicht vorgesehen hat.

Wann muss keine Anzeige erstattet werden?

Eine Anzeige muss nicht erstattet werden, wenn

  • sie dem ausdrücklichen Willen der:des volljährigen handlungs- oder entscheidungsfähigen Klientin oder Klienten widersprechen würde und keine unmittelbare Gefahr für sie/ihn oder eine andere Person besteht ODER
  • sie im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf und keine unmittelbare Gefahr für den:die Klient:in oder eine andere Person besteht ODER
  • wenn Minderjährige von Misshandlung / Quälen / Vernachlässigung / sexuellem Missbrauch betroffen sind, sich der Verdacht gegen eine:n Angehörige:n richtet, es das Wohl des Minderjährigen erfordert und eine Mitteilung an die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung erfolgt

Wenn der:die Dienstgeber:in nach einer Meldung des:der Berufsangehörigen eine Anzeige erstattet hat, ist der:die Berufsangehörige ebenfalls nicht verpflichtet, nochmals eine Anzeige zu erstatten.

Wesentlich ist, dass bei den einzelnen Ausnahmegründen alle Voraussetzungen des jeweiligen Ausnahmegrundes erfüllt sind. Die Befürchtung, die Tat könnte sich wiederholen, reicht für eine unmittelbare Gefahr nicht aus, es braucht konkrete Hinweise für eine unmittelbare Tatbegehung / Tatfortsetzung.

Folgende Fragen können hilfreich sein

  • Bin ich klinische:r Psychologe oder Psychologin / Gesundheitspsychologe oder -psychologin / (Musik-)Psychotherapeut:in?
  • Liegt eine konkrete Tätigkeit iSd Berufsgesetzes vor?
  • Liegt ein begründeter Verdacht vor? Bejahendenfalls: Aufgrund welcher Fakten steht welche Straftat im Raum?
  • Wer ist der:die Klient:in und welchen Auftrag habe ich?
  • In welchem Verhältnis stehen Täter:in und Opfer?
  • Wer ist gefährdet? Ist eine Anzeige zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr erforderlich? Ja / nein + Begründung
  • Wie steht der:die Klient:in zu einer Anzeige? Wie alt ist der:die Klient:in? Ist er:sie entscheidungsfähig?
  • Wie würde sich eine Anzeige auf den Beratungskontext auswirken?

Sicherheitspolizeiliche Fallkonferenz

Rechtsgrundlagen (Stand 21.03.2022)

  • § 22 (2) SPG (Sicherheitspolizeigesetz)
    (2) Die Sicherheitsbehörden haben gefährlichen Angriffen auf Leben, Gesundheit, Freiheit, Sittlichkeit, Vermögen oder Umwelt vorzubeugen, sofern solche Angriffe wahrscheinlich sind. Zu diesem Zweck können die Sicherheitsbehörden im Einzelfall erforderliche Maßnahmen mit Behörden und jenen Einrichtungen, die mit dem Vollzug öffentlicher Aufgaben, insbesondere zum Zweck des Schutzes vor und der Vorbeugung von Gewalt sowie der Betreuung von Menschen, betraut sind, erarbeiten und koordinieren, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass ein bestimmter Mensch eine mit beträchtlicher Strafe bedrohte Handlung (§ 17) gegen Leben, Gesundheit, Freiheit oder Sittlichkeit eines Menschen begehen wird. (Sicherheitspolizeiliche Fallkonferenz).
  • § 56 (1) Z 9 SPG
    § 56. (1) Die Sicherheitsbehörden dürfen personenbezogene Daten nur übermitteln
    9. an die Teilnehmer einer sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz (§ 22 Abs. 2 letzter Satz). Die Teilnehmer sind – sofern sie nicht ohnehin der Amtsverschwiegenheit unterliegen – zur vertraulichen Behandlung der Daten verpflichtet; darüber sind sie zu informieren.
    Für die Übermittlung personenbezogener Daten für Zwecke der internationalen polizeilichen Amtshilfe sind die Bestimmungen des Polizeikooperationsgesetzes – PolKG, BGBl. I Nr. 104/1997, anzuwenden. (Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch Art. 1 Z 36, BGBl. I Nr. 29/2018)
  • § 84 (1) Z 2 SPG
    § 84. (1) Wer
    2. einer Verpflichtung gemäß § 56 Abs. 1 Z 9 zur vertraulichen Behandlung personenbezogener Daten zuwiderhandelt oder begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 1 000 Euro, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe bis zu 4 600 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen. Waffen und Gegenstände einer Verwaltungsübertretung gemäß Z 4a sind nach Maßgabe des § 17 VStG für verfallen zu erklären.

Zuständigkeit der Sicherheitsbehörde

Die Sicherheitsbehörde entscheidet über die Einberufung einer sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz und die Teilnehmer:innen. Seitens der Einrichtungen besteht nur die Möglichkeit, die sicherheitspolizeiliche Fallkonferenz in Hochrisikofällen anzuregen.

Als mögliche Teilnehmer:innen kommen Opferschutzeinrichtungen, Beratungsstellen für Gewaltprävention, Frauenhäuser, Kinder- und Jugendhilfeträger, Schule / Kinderbetreuung etc. in Frage.

Ziel von sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen

Sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen sollen dazu dienen, in Hochrisikofällen Schutzmaßnahmen für die gefährdeten Personen möglichst effizient aufeinander abzustimmen.

Verschwiegenheitspflicht

Personenbezogene Daten sind vertraulich zu behandeln, das heißt sie dürfen idR außerhalb des eigenen Beratungskontextes nicht offen gelegt werden. Im Allgemeinen erfordert die Abstimmung von Maßnahmen die Verwendung von Informationen im eigenen Beratungskontext. Zu beachten ist, dass die Sicherheitsbehörde bei Bekanntwerden einer Straftat verpflichtet ist, tätig zu werden (Offizialprinzip).

Wann ist eine Teilnahme an einer sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz sinnvoll?

Es besteht keine rechtliche Verpflichtung, einer Einladung zur sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz Folge zu leisten oder alle Fragen in der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz zu beantworten; in der Regel ist eine Vernetzung in Hochrisikofällen aber indiziert.

Nachstehende Fragen können mitunter helfen, über die Teilnahme und die konkrete Informationsweitergabe aus Anlass der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz zu entscheiden:

Bewertung der Teilnahme

  • Liegt das Einverständnis der Klientin/des Klienten zur Teilnahme vor?
  • Erfordert die Gefährdungslage ausnahmsweise auch ohne Einverständnis die Teilnahme (Stichwort: Rechtfertigender Notstand)?
  • Ist ein sinnvoller Beitrag möglich?

Bewertung, welche Inhalte in einer sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz offen gelegt werden

  • Liegt ein Einverständnis der Klientin des Klienten vor, wesentliche Inhalte offen zu legen und Fragen zu beantworten?
  • Erfordert die Gefährdungslage ausnahmsweise auch ohne Einverständnis die Weitergabe bestimmter Informationen (Stichwort: rechtfertigender Notstand)?

Bei einer Teilnahme an einer sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz empfiehlt sich zu Beginn die Transparenz, dass relevante Inhalte der Sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz im Beratungskontext verwendet werden (müssen). Mitunter können aber fachlich vertretbare Ausnahmekonstellationen die vertrauliche Behandlung von Informationen rechtfertigen (Stichwort: Festnahme, Haus-durchsuchung,...); hier empfiehlt es sich, die konkrete Vorgehensweise im Einzelfall abzustimmen.

Weiterführende Informationen