Kontaktrecht und Kindeswohl­gefährdung

Portrait Adele Lassenberger. Foto: privat

Dieser Bericht befasst sich mit der Frage der Kindeswohlgefährdung im Rahmen des Kontaktrechts nach familiärer bzw. häuslicher Gewalt.

Begleiteter Kontakt wird als eine wichtige Schutzmaßnahme für gewalt­traumatisierte und gefährdete Kinder gewürdigt, ist aber nicht immer ausreichend als Schutzmaßnahme und in manchen Fällen zumindest für eine gewisse Zeit kontraindiziert. Es wird aber dafür plädiert - ganz im Sinne der österreichischen Rechtslage - die Regelung und die konkrete Ausgestaltung der Kontakte an den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Kindes auszurichten und nach Möglichkeit in den Dienst einer nachhaltigen Gewaltprävention zu stellen.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist es notwendig, die spezifischen Formen kindeswohlgefährdender Konstellationen im Rahmen des Kontaktrechts zu kennen und ihre Dynamik zu verstehen.

Autorin: Dr.in Adele Lassenberger, Klinische Psychologin Kinderschutzzentrum DELFI Wolfsberg, Vorsitzende des Bundesverbandes der Österreichischen Kinderschutzzentren

Thema August 2019

Zur Frage der Kindeswohlgefährdung im Rahmen des Kontaktrechts – bitte genau hinschauen!

Häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt wird in der Literatur und in der psychosozialen Praxis als Überbegriff verwendet für Gewalt gegen Kinder durch ihre erziehungsberechtigten Angehörigen und weiteren im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen. Häusliche Gewalt umfasst des Weiteren Partnerschaftsgewalt und beinhaltet auch die diesbezügliche Zeugenschaft. Sie umfasst körperliche Gewalt, zum Beispiel Schlagen, Ohren ziehen u. a., als auch psychische Gewalt wie

  • Drohen,
  • Einschüchtern,
  • Ängstigen,
  • Lächerlich-machen,
  • das Quälen von Tieren (insbesondere dann wenn es das Tier des Opfers ist), sowie
  • alle Handlungen und verbalen Entgleisungen, die auf die Herabwürdigung des Opfers abzielen.

Insbesondere für Kinder muss der Umstand der miterlebten Gewalt gegen Bezugspersonen erwähnt werden, welche ein erhebliches Traumatisierungspotential haben. Dabei ist auch an sexualisierte Gewalt zu denken, die oft aus Scham zunächst nicht berichtet wird. Gewalt kann nicht nur anhand der sichtbaren Ausprägungen beschrieben werden, Gewaltphänomene im sozialen Nahbereich weisen eine eigene Dynamik auf:

  • Innerfamiliäre Gewalt ist gefühlsmäßig hoch aufgeladenes Verhalten.
  • Gewaltgeprägte Systeme schränken Handlungsmöglichkeiten ein.
  • Gewalt ist beharrlich.
  • Jede Form innerfamiliärer Gewalt hat psychische Ursachen (z. B. Kinder sollen die defizitären Erfahrungen ihrer Eltern ausgleichen) und Folgen (jedenfalls eine Selbstwertproblematik, aber auch eine nicht zu unterschätzende Zahl von Traumafolgestörungen, ca. 25 %).
  • Die Entstehung von Gewalt innerhalb der Familie ist oft mit dem Verlust wichtiger Ressourcen verbunden.
  • Rollen in gewaltgeprägten Systemen unterliegen einer starren Bewertung.
  • Sexuelle Gewalt ist am meisten tabuisiert und wird am vehementesten geleugnet – und ist schwer nachweisbar. Hinweise müssen entsprechend ernst genommen werden. Dem Schutz vor sexueller Gewalt ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen. (Sorgo 2011)

Kinderschutz

Die häufige Empörung über misshandelnde Eltern ist kontraproduktiv, wenn es darum gehen soll, die Gewalt zu beenden. Es ist davon auszugehen, dass auch misshandelnde Eltern ihre Kinder nicht schädigen wollen, sondern im Gegenteil: wie alle Eltern wollen sie das Beste für ihre Kinder.

Kinderschutz zur Abwendung von Kindeswohlgefährdung braucht zunächst einen transparenten, ehrlichen und klaren Dialog über Gefühle und Strategien zu deren Regulation und Bewältigung. Realistische Ziele und Aufgaben sowie klare und erfüllbare Vereinbarungen, die überprüft werden können müssen mit allen Beteiligten erarbeitet werden. Die Übernahme von Verantwortung bei gewalttätigen Handlungen muss durch konkreten Handlungen sichtbar gemacht werden.

Kindeswohlgefährdung

Eine viel zitierte Definition von Kindeswohlgefährdung findet sich in einem Art Grundlagenpapier des Kinderschutzes, herausgegeben vom Kinderschutzzentrum Berlin (2009):

Kindeswohlgefährdung

  • ist ein das Wohl und die Rechte eines Kindes (nach Maßgabe gesellschaftlich geltender Normen und begründeter professioneller Einschätzung)
  • beeinträchtigendes Verhalten oder Handeln bzw. ein Unterlassen einer angemessenen Sorge
  • durch Eltern oder andere Personen in Familien oder Institutionen (wie z. B. Heimen, Kindertagesstätten, Schulen, Kliniken oder in bestimmten Therapien)
  • das zu nicht-zufälligen Verletzungen, zu körperlichen und seelischen Schädigungen und / oder Entwicklungsbeeinträchtigungen eines Kindes führen kann,
  • was die Hilfe und eventuell das Eingreifen von Jugendhilfe-Einrichtungen und Familiengerichten in die Rechte der Inhaber der elterlichen Sorge
  • im Interesse der Sicherung der Bedürfnisse und des Wohls eines Kindes notwendig machen kann.

Jedenfalls ist Kindeswohlgefährdung eine soziale Konstruktion, die transparent zu machende Bewertungskriterien zur Beurteilung einer erheblichen Beeinträchtigung des Kindes umfasst, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu kurz- mittel- oder längerfristigen Schäden für die kindliche Entwicklung führt.

Schutz der Opfer im strafrechtlichen und/oder familienrechtlichen Verfahren

In Fällen von Gewalt geht es zunächst darum, den Schutz des Opfers/der Opfer durch Trennung (Verlassen des häuslichen Umfeldes oder durch ein Betretungsverbot bzw. in der Folge durch gerichtliche Verfügung) herzustellen. Dabei ist zu bedenken, dass dies für Betroffene ein schwer zu bewältigender Schritt ist, für den sie manchmal Unterstützung brauchen.

Die Hoffnung bzw. Illusion, dass es sich bei derartigen um „unglückliche Ausrutscher" handelt, die nicht mehr vorkommen werden, führen oft dazu, dass Betroffene erst in einer eskalierten Situation in der Lage sind, Hilfe zu holen oder Schutzmaßnahmen zu initiieren. Manchmal werden diese auch von Nachbarn oder dislozierten Angehörigen veranlasst und nicht von den Betroffenen selbst.

Wenn es zu einer Anzeige und möglicherweise auch zu einem Strafverfahren kommt, haben Kinder und Jugendliche und ihre Angehörigen das Recht auf eine psychosoziale und juristische Prozessbegleitung. Dabei geht es darum, Opfer nach Gewalterfahrungen zu stabilisieren, um den Anforderungen des Strafverfahrens gerecht werden zu können. Die Aussagefähigkeit von Kindern wird in der Regel durch ein Sachverständigengutachen geklärt.

Nach dem Strafverfahren geht es dann in der Regel um das Kontaktrecht. Für die Dauer des Strafverfahrens wird empfohlen – auch aus Gründen der Beeinflussung bzw. Einschüchterung – keinen Kontakt zum Beschuldigten aufzunehmen. Das Aussetzen des Kontakts liefert auch wertvolle Hinweise auf die Art und das Ausmaß der psychischen Beeinträchtigung durch die erlittene Gewalt.

Nach Abschluss, mitunter auch schon während des Strafverfahrens, muss das Kontaktrecht über das Familiengericht geregelt werden. Unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens muss insbesondere für Kinder die Frage des Kontaktrechts unter dem Aspekt einer möglichen Kindeswohlgefährdung geregelt werden.

Eckpfeiler des Kontaktrechts

Einschränkungen des Kontaktrechts können vorgenommen werden, wenn sie nicht dem Kindeswohl entsprechen. 2013 wurde vom Gesetzgeber der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls durch eine 12 Kriterien umfassende Liste konkretisiert (§138 ABGB idF KindNamRÄG 2013).

Darin ist der Schutz der körperlichen und seelischen Integrität (§138 Z 2) und der Schutz vor jeglicher Gewalt, auch diese an Bezugspersonen miterleben zu müssen (§138 Z 7) genauso enthalten wie verlässliche Kontakte zu beiden Elternteilen und wichtigen Bindungspersonen (§138 Z 9) und die Vermeidung von Loyalitätskonflikten und Schuldgefühlen (§138 Z 10).

Einschränkungen des Kontaktrechts können demnach zur Abwendung von Kindeswohlgefährdung vorgenommen werden. In diesen Fällen wird dann in der Regel zur Ausübung und Pflege des Kontakts ein begleiteter Umgang, in Österreich ist dafür der Terminus Besuchsbegleitung (§111 AußStrG) üblich (vom früheren „Besuchsrecht" abgeleitet).

Grundsätzlich haben Kinder und ihre Eltern das Recht auf persönliche Kontakte, die den Bedürfnissen des Kindes entsprechen und die da einvernehmlich zu regeln wären. Wenn kein Einvernehmen hergestellt werden kann, hat das Gericht auf Antrag des Kindes oder eines Elternteils diese Kontakte zu regeln und entsprechende Pflichten festzulegen. Außerdem können Begleitmaßnahmen, die im Außerstreitgesetz geregelt sind, auferlegt werden (§107 AußStrG: Eltern-, Familien- oder Erziehungsberatung, Besuchsmittler, Mediation, Anti-Gewalttraining).

Einschränkungen des Kontaktrechts und gegebenenfalls Pflichten aus den Begleitmaßnahmen haben folgende Funktionen:

  • die Anbahnung und Wiederherstellung von nicht gelebten Kontakten bei einem legitimen Kontaktrecht in aufgeladenen strittigen Konstellationen
  • eine Schutzfunktion bei einem legitimierten Kontaktrecht eines ehemals oder potentiell gefährdenden Elternteils (Barth/Erlebach 2018; 22-23)

Eine Aussetzung von Kontakten ist nur in akuten Gefährdungslagen für einen vorübergehenden Zeitraum vorgesehen. Das Kontaktrecht kann nicht für immer untersagt werden. Sämtliche Maßnahmen sollen Kontakt herstellen und Gefährdung durch Gewalt ausschließen. Für die Praxis heißt das, dass für eine juristische Legitimation einer Untersagung des Kontakts eine akute Gefährdung nachgewiesen werden muss. Außerdem ist der Wille des Kindes sehr wohl von Bedeutung, nicht jedoch der Wille der betreuenden Bezugsperson.

Begleitete Kontakte

Begleitete Kontakte ("Besuchscafés") sind in der Regel eine Möglichkeit einen sicheren äußeren Rahmen zu bieten, der allerdings aus kinderpsychologsicher Sicht nicht immer ausreicht. Ob begleitete Kontakte empfohlen werden können, hängt primär von der Beziehung des Kindes zum vormals gewaltausübenden Elternteil ab, aber auch vom Ausmaß und dem Schweregrad der Gewalt.

Häufig wünschen sich Kinder Kontakte mit diesem Elternteil in der Hoffnung, es kommt nicht wieder zur Übergriffen oder auch verbalen Entgleisungen. In diesen Fällen sind begleitete Kontakte eine gute Möglichkeit, eine neue gewaltfreie Beziehungsqualität aufzubauen. Dafür werden in der Regel aber auch begleitende Maßnahmen auf Täterseite erforderlich sein ("Antiaggressiontraining").

Von einer Kindeswohlgefährdung ist dann auszugehen, wenn vom gewaltausübenden Elternteil keine Einsicht zu erwarten ist bzw. die Übergriffe geleugnet werden. In diesen Fällen besteht für die Kontakte ein erhöhtes Wiederholungsrisiko.

Instinktive Täuschungsreaktion

Weinberg beschreibt die instinktive Täuschungsreaktion (2013) als vierte Trauma-Reaktion. Demnach tendieren Kinder dazu zu ängstigenden Bindungspersonen besonders nett und freundlich zu sein. Es kann dies als eine Art Totstellreflex verstanden werden. Diese Kinder haben in den realen Bedrohungssituationen gelernt, gewalttätige Bezugspersonen zu beschwichtigen, sie nett und freundlich zu stimmen, um beispielsweise einen Auszucker zu verhindern.

Im Unterschied zu einem echten guten Kontakt findet in so einer Interaktion kaum ein Austausch statt, die Mimik ist eingefroren und angespannt, das Spiel (wenn überhaupt eines stattfindet) ist mechanisch und dysfunktional. Danach erst, wenn der Kontakt vorbei ist, zeigen die Kinder Stressreaktionen. Es ist wichtig, solche kindlichen Notfall-Reaktionen zu unterscheiden von einem freudigen Zusammentreffen.

Begleitete Kontakte sind dann keine Option, wenn

  • Eltern die dokumentierte Gewalt leugnen (unabhängig von einer allfälligen Verurteilung)
  • die Irritationen und Belastungen des Kindes nicht wahrgenommen werden können und bagatellisiert und fehlinterpretiert werden
  • der beschuldigte und ggf. verurteilte Elternteil nach wie vor das Kind instrumentalisiert oder
  • er jenen Elternteil, der als primäre Bezugsperson für das Kind fungiert und diesem Sicherheit bieten kann, nach wie attackiert, beschimpft, herabwürdigt etc. also wenn er nach wie vor versucht, – psychische – Gewalt gegen den Sicherheit gebenden Elternteil auszuüben.
  • das Kind Angst vor dem (beschuldigten) Elternteil hat (was nicht immer leicht festzustellen ist, s.o.) und eine behandlungsbedürftige Symptomatik aufweist die in Zusammenhang mit einer Traumatisierung steht. – Dann sollte zumindest für die Dauer der Stabilisierungshase der Behandlung (Traumatherapie) kein "Täterkontakt" stattfinden.

Dazu sei hier ein Zitat aus der Expertise von KH Brisch angeführt, auf die sich ein entsprechendes Urteil beruft – allerdings in Deutschland. (Zugriff am 27.06.2019):

"Denn es ist aus psychotherapeutischer Sicht allgemein anerkannt, dass für eine erfolgreiche Psychotherapie wegen posttraumatischer Belastungsstörungen schon zu Beginn bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen. Hierzu gehören u.a. ein sicherer äußerer Rahmen mit verlässlichen Strukturen und kein Kontakt mit einem Täter.

Weiterhin benötigt das Kind sehr gute emotionale Sicherheit zur Stabilisierung, damit es seinen Stress und heftige Affekte besser regulieren lernen kann. Dieser sichere äußere Rahmen muss jedenfalls so lange bestehen, bis es beim Kind zu einer überprüfbaren Stabilisierung und Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse gekommen ist.

Nur so kann einer Chronifizierung einer posttraumatischen Belastungsstörung vorgebeugt werden.

(vgl. Brisch, Bindung und Umgang, in: Brühler Schriften zum Familienrecht, 17. Deutscher Familiengerichtstag 2007, Seite 89, 105 m.w.N.)"

Und weiter:

"Der Kontakt mit leiblichen Eltern nach traumatischen Erfahrungen mit Täter-Eltern erzeugt Angst beim Kind und aktiviert die pathologischen Bindungsmuster als Bindungsstörungen welche immer eine gravierende Gefährdung des Kindeswohls bedeuten (Brisch, Seite 111 f).

Es kann zur Re-Traumatisierung des Kindes beim Kontakt mit den Eltern kommen, weil die traumatischen Erfahrungen durch den Kontakt wieder in die Erinnerung des Kindes zurückgeholt werden können. Das Kind wird dann erneut von Affekten der Angst und der Ohnmacht überschwemmt, mit denen es in der Regel nicht umgehen kann, so dass es oft regelmäßig nach solchen Kontakten zur erneuten Symptombildung kommt.

Die für ein Kind neben der körperlichen und sozialen Sicherheit so wichtige emotionale Sicherheit ist in der Regel nur durch eine Kontaktsperre gegeben (so ausdrücklich Brisch, Seite 109; vgl. auch Kindler/Fichtner, FamRZ 2004, 1241 ff.; OstbomkFischer, Kind-Prax 2004, 8 ff.; Kindler FPR 2005, 16 ff)."

Sonderfall: Aufrechter Verdacht

Wenn der Verdacht nicht geklärt werden kann, also weder bestätigt noch ausgeräumt werden kann, muss die Entscheidung für oder gegen einen Kontakt, zu Gunsten des Kindeswohls im Sinne einer Güterabwägung fallen, sollte jedoch im Falle einer Entscheidung für den Kontakt jedenfalls begleitet erfolgen. (Vgl. dazu auch Kindler/Eschelbach zum sexuellen Missbrauch im familiengerichtlichen Verfahren; IzKK- Nachrichten 2013/2014 S.73, Zugriff zuletzt am 2.7.2019)

Schonzeit

Die dem Kind verbleibende Bezugsperson, die oft selbst von Gewalt betroffen war, wird mitunter eine ablehnende Haltung zu einem Kontakt mit dem früher Gewalt ausübenden Elternteil einnehmen, da sie zum einen davon ausgeht, dass es für das Kind nicht gut ist bzw. dass das Kind selbst keine Kontakte will (Kinder sind in der Regel hoch ambivalent – wie in allgemeinen Trennungssituationen auch). Sie vertritt vielleicht die Ansicht, dass nach alldem, was vorgefallen ist, Kontakte das Zusammenleben mit dem Kind erschweren und/oder die Erholung von der belasteten Biografie nicht stattfinden kann.

Das ist nur allzuleicht nachzuvollziehen und es muss auch überprüft werden, ob dieser Argumentation nicht auch – zumindest befristet – Rechnung getragen werden soll, da die Erholung von Gewalterlebnissen (das "zur Ruhe kommen") tatsächlich ein wesentlicher Genesungsfaktor ist. Auch für die Neuorientierung und Neuorganisation des zukünftigen Lebens wird in der Regel eine Schonzeit benötigt. Kindler (2006) und Korittko (2013) weisen in ebenfalls darauf hin, dass der Grundsatz, Elternkontakt sei immer förderlich, in Fällen von häuslicher Gewalt kritisch hinterfragt werden muss ("Neuanfang ohne Angst").

Instrumentalisierung des Kindes

Es kommt immer wieder vor, dass die sichere Bezugsperson des Kindes (häufig die Mutter) selbst derart betroffen ist, dass sie zwischen ihrem Bedürfnis nach Abbruch der Beziehung zum Expartner und dem Bedürfnis des Kindes, den Vater trotz der erlebten Gewalt sehen zu wollen, nicht unterscheiden kann.

Kinder reagieren auf die verbleibende Bezugsperson – aus Angst auch diese (auch) zu verlieren – sehr sensibel und verzichten mitunter auf den Kontaktwunsch, um den verbleibenden Elternteil nicht zu vergrämen oder zu enttäuschen. Diese Situation ist äußerst heikel und es wird empfohlen, diese durch ein spezialisiertes psychosoziales Beratungsangebot begleiten zu lassen. Erzwungene Kontakte sind meist kontraproduktiv und chronifizieren die Problematik.

Häufiger jedoch findet sich eine Instrumentalisierung des Kindes durch den gewaltausübenden Elternteil auch nach der Scheidung oder Trennung. Der Kontakt mit dem Kind wird in diesen Fällen dazu verwendet, die Lebensverhältnisse des getrennt lebenden Partners zu kontrollieren, dann setzt sich die Gewaltdynamik und das Kontrollstreben für das Kind verschärft weiter. Der französische Film "Nach dem Urteil" (Xavier Legrand 2017) zeigt in beklemmender Weise diesen subtilen Missbrauch des Kontaktrechts des Vaters mit dem Kind, um die Mutter weiterhin zu kontrollieren und zu bedrängen.

Sonderfall: Instrumentalisierung von Gewaltvorwürfen

Im gerichtlichen Kontext gibt es immer wieder Fälle, in denen ein Kontakt des Kindes zu einem getrennt lebenden Elternteil nicht toleriert bzw. nicht ausgehalten werden kann und es dann zu nicht nachvollziehbaren Gewaltvorwürfen kommt, um das Kontaktrecht zu verhindern. Dies sind ausgesprochen komplexe Fälle, da diese erfahrungsgemäß sehr interventionsresistent sind.

Die Arbeit mit diesen Müttern zeigt, dass sie sich die Vorwürfe nicht etwa ausdenken, um diese bewusst im Verfahren einzusetzen. Vielmehr entstehen die Vorwürfe allmählich aus einer sich kontinuierlich neu entwickelnden Interpretation vergangener Ereignisse.

Inwieweit in diesen Fällen von einer Kindeswohlgefährdung durch den betreuenden Elternteil auszugehen ist, kann nur im individuellen Fall eingeschätzt werden. Letztendlich wird es darum gehen, die Mutter im Sinne des Kinderschutzes aus ihrer Isolation zu holen und sie mit den konkreten alltäglichen Bedürfnissen ihres Kindes in Kontakt zu bringen. Instrumentalisierte Gewaltvorwürfe kommen aber nicht so häufig vor, wie im gerichtlichen Kontext zunächst vermutet wird.

Literatur

  • [1] Brisch KH: Bindung und Umgang In: Deutscher Familiengerichtstag, "Siebzehnter Deutscher Familiengerichtstag vom 12. bis 15. September 2007 in Brühl". Brühler Schriften zum Familienrecht, Band 15 (S. 89-135), Gieseking Bielefeld, 2018
  • [2] Borst U, Lanfranchi A : Liebe und Gewalt in nahen Beziehungen Carl Auer, Heidelberg., 2011
  • [3] Gisbrecht J: Psychische Gewalt an Kindern Akademikerverlag, Saarbrücken, 2012
  • [4] Barth P, Erlebach M: Kindschaftsrecht für Sozial- und Gesundheitsberufe Linde, Wien, 2018
  • [5] Kavemann B, Kreyssig U: Handbuch Kinder und häusliche Gewalt Springer, Wiesbaden, 2006
  • [6] Kinderschutzzentrum Berlin: Kindeswohlgefährdung. Erkennen und Helfen. Berlin, 2009
  • [7] Kindler H : Partnergewalt und Beeinträchtigungen der kindlichen Entwicklung In: Kavemann B, Kreyssig U, Handbuch Kinder und häusliche Gewalt, Springer, Wiesbaden, 2006
  • [8] Kindler H: Neuanfang ohne Angst DJI Bulletin 89, 2010
  • [9] linkhammer M, Prinz S: Handbuch Begleiteter Umgang Bundesanzeiger, Köln, 2017
  • [10] Korittko A: Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern Carl Auer, Heidelberg, 2017
  • [11] Korittko A: Kinder als Zeugen häuslicher Gewalt. Umgang um jeden Preis oder Neuanfang ohne Angst? In: M. Weber, U. Alberstötter u. H. Schilling (Hrsg.), Beratung von Hochkonflikt-Familien im Kontext des FamFG. (S. 256–272), Weinheim/Basel (Beltz Juventa), 2013
  • [12] Sorgo A F: Gewalt in Familien verstehen und verändern. Ein systemisches Konzept innerfamiliärer Gewalt In: Borst U, Lanfranchi A,, Liebe und Gewalt in nahmen Beziehungen., 2011
  • [13] Völkl-Kernstock S, Kienbacher C.: Forensische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Springer, Wien, 2016
  • [14] Weinberg D, Korittko A : Instinktive Täuschung. Die Verborgene Trauma-Reaktion; Informationen für Erziehungsberatungsstellen. 2013

Weiterführende Informationen