Was muss passieren, damit nichts passiert? – Schutzkonzepte für pädagogische Einrichtungen

Dieser Bericht informiert darüber, dass immer mehr Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sich mit Sexualpädagogik und Missbrauchsprävention auseinander setzen. Manchen wird dies vorgegeben, andere machen es, weil ein Anlassfall zum Umdenken "anregt" wieder andere, weil sie durch ihre pädagogische Arbeit im Alltag daran erinnert werden, dass es wichtig wäre, sich bestimmten Themen anzunehmen.

Autorin: Mag.a Gabriele Rothuber, Sexualpädagogin, Sexualberaterin, System. Traumaberaterin und -Pädagogin, Geschäftsführung bei selbstbewusst.at, Obfrau und Intersex-Beauftragte der HOSI Salzburg, Gründungsmitglied der Plattform Intersex Österreich 

Thema April 2019, Gabriele Rothuber

Meist sind es Themenkreise, die in vielen pädagogischen und sozialarbeiterischen Berufsfeldern in der Ausbildung noch überhaupt nicht oder nur unzulänglich behandelt werden.

  • Was ist überhaupt "kindliche Sexualität" und wie gehen wir damit um: z. B. Schau- und Zeigelust, kindliche Masturbation, sogenannte Doktorspiele, Kinderfragen zum Thema...?
  • Die - für die E-Natives gar nicht mehr so – "Neuen" Medien und Sexualität: wie unterstützen wir Medienkompetenz?
  • Wo endet kindliche Neugier und wo beginnt ein sexueller Übergriff unter Kindern? Wie intervenieren wir? Wo hört bei Jugendlichen der "Spaß auf"?
  • Schutzgedanke vs. Menschenrecht auf Sexualität: haben auch traumatisierte Jugendliche das Recht, Fehler zu machen? Dürfen Paarbeziehungen bei uns gelebt werden? Gibt es Regeln hierzu? Was, wenn diese nicht eingehalten werden? (z. B. stationäre Jugendeinrichtungen)
  • Ist unser Team geschult und weiß, welche Handlungen noch vor den sog. Hands-on-Delikten zu Missbrauchshandlungen zählen? Welche Strategien Täter:innen verfolgen? Welche Signale, "stumme Schreie" und Symptome missbrauchte Kinder zeigen können? Und wie wir darauf professionell reagieren? Vom vagen Verdacht bis zur Gefährdungsmeldung.
  • Wie kann man eine präventive pädagogische Grundhaltung etablieren?

Idealerweise beginnt der Prozess in Teamschulungen, damit alle auf demselben Wissensstand sind. Dies stößt bereits Denk- und Sprechprozesse an: ein Auseinandersetzen über Themen, die den Alltag erschweren, wenn sie tabuisiert, dramatisiert oder bagatellisiert werden – und die oft der Willkür Einzelner unterworfen sind.

Anschließend beginnt die Konzeptphase mit einer Kerngruppe. Die Begleitung von externen Experten/Expertinnen erstreckt sich über mehrere Monate.

Um auf die spezielle Situation und die Strukturen der Einrichtung einzugehen, empfiehlt sich eine Ressourcen- und Risikoanalyse:

Was tun wir bereits zum Thema ...

  • ... Macht und Machtmissbrauch im Alltag?
  • ... Grenzüberschreitungen und Nähe-/Distanzverhältnis?
  • ... Beteiligung und Umgang mit Beschwerde?
  • ... Einstellung und Gewinnung neuer Mitarbeitender?
  • ... Gewalt unter Kindern?
  • ... Aufklärung und Aufarbeitung von Verdachtsmomenten (Intervention)?
  • ... Körper und Sexualerziehung?

(nach Mechthild Wolff)

Je nach Einrichtung empfiehlt es sich, der Partizipation der untergebrachten Kinder & Jugendlichen bereits zu Beginn der Konzeptphase großes Augenmerk zu schenken: es wird ansonsten nur schwer, wenn überhaupt von ihnen angenommen.

Einen kritischen Blick auf die Schwächen der eigenen Einrichtung zu werfen, ist kein angenehmes Unternehmen. Es bietet sich an, eine "fiktive Täterbrille" aufzusetzen:

  • Welche Tätigkeitsfelder sind für mich besonders attraktiv?
  • Von welchen konkreten Alltagssituationen profitiere ich?
  • Welche Situationen erfordern besondere Nähe?
  • In welchen Situationen gelingt Manipulation (z. B. durch Herantasten)?
  • Wer ist besonders gefährdet, indem besondere Bedürfnisse nach Nähe / ein Pflegebedarf bestehen, die missbraucht werden könnten?

Danach sind Schwachstellen leichter zu identifizieren.

Täter und Täterinnen gehen zielgerichtet und strategisch vor. Ebenso strategisch muss Prävention aufgebaut sein. Am besten wird Prävention in die Struktur- und Prozessqualitätsicherung in den Organisationen und Institutionen eingebettet und nachhaltig verankert. Schutzkonzepte erhöhen einerseits konkrete Schwellen für den Aufbau von Taten und senken anderseits die Schwellen für die Aufdeckung von Taten." Limita, Schweiz

Die Konzeptionierung bietet

  • die fachliche Auseinandersetzung
  • die Entwicklung eines bewussten Umgangs
  • mehr Sicherheit im Alltag für ALLE Beteiligten
  • Entlastung im Team
  • Transparenz nach außen (Eltern, Erzieher:innen etc.)

Der Verein Selbstbewusst, Salzburg, begleitet Organisationen und pädagogische Einrichtungen bei der Erstellung und Umsetzung von sexualpädagogischen und missbrauchspräventiven Konzepten.

Literatur

  • [1] Mechthild Wolff, Wolfgang Schröer, Jörg M. Fegert: Schutzkonzepte in Theorie und Praxis. Ein beteiligungsorientiertes Werkbuch Juventa Verlag GmbH, 2017

Weiterführende Informationen