Sexualisierte Gewalt im (Leistungs-)Sport, Präventions- und Schutzkonzepte für Sportverein- und Verbände

Portrait Katja Koller

Katja Koller geht in diesem Beitrag auf die Thematik "sexualisierte Gewalt im Sport gegen Athlet:innen" ein und bietet präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Grenzverletzungen;

Übergriffen und Gewalt im Sport. Sportliche Betätigung und die Mitgliedschaft in einem Sportverband bietet, insbesondere für Kinder und Jugendliche, ein hohes Potential an Vorteilen und Möglichkeiten: Förderung der Gesundheit durch körperliche Betätigung, Prävention gegen Übergewicht, Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes - um nur die bekanntesten Faktoren zu nennen.

Dazu kommen wichtige soziale Kontakte, Freundschaften, Zusammenhalt und Lernerfahrungen im persönlichen Bereich, wie sie die beste Schule und das engagierteste Elternhaus nicht bieten können. Doch es gibt auch Schattenseiten.

Autorin: Katja Koller, MA, Referentin für 100% Sport und Leitung des Gremiums für ein Präventions- und Schutzkonzept für den Sport in Oberösterreich, Bereichsleitung Prävention beim Verein PIA – Prävention, Beratung und Therapie bei sexueller Gewalt

Thema Oktober 2019

Die Safe-Sport-Studie aus Deutschland ergab, dass etwa ein Drittel aller befragten Kadersportler:innen schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt (sexualisierte Gewalthandlungen mit und ohne Körperkontakt, grenzverletzendes Verhalten) im Sport erfahren haben, 1 von 9 Sportler:innen gaben an, eine schwere und/oder länger andauernde Form von sexueller Gewalt erlebt zu haben.

Die internationale Studienlage ergibt, dass eine von fünf Personen mindestens einmal davon betroffen ist. Ist der Sport nun anfälliger für sexuelle Übergriffe als andere Lebensbereiche? Nein, grundsätzlich nicht! Aber der Sport bietet einige Situationen und Strukturen (z. B. Trainer:in – Kind),

  • Geschlechterhierarchien und Geschlechterverteilung (z. B. viele Führungspositionen sind zum Großteil von Männern besetzt),
  • Geschlechterstereotype (z. B. sexualisierte Botschaften auf Fotos können sexualisierte Gewalt begünstigen) und
  • hohe Leistungsorientierung der Sportler:innen, die als mögliches Druckmittel genutzt werden kann.
  • Typische Situationen im Sport, die ein gewisses Risiko bergen, sind

    • Übernachtungssituationen in Gruppen (bei Wettkämpfen und Trainingslagern),
    • Umkleide- und Duschsituationen (die keinen ausreichenden Schutz der Privatsphäre bieten),
    • Berührungen (z. B. durch Hilfestellungen, die gezielt übergriffig ausgenutzt werden) oder
    • Autofahrten zu Wettkämpfen (Einzelsetting, Sportler:in getrennt von der Gruppe).

    Dazu kommen Rahmenbedingungen, die es potentiellen Täter:innen einfacher machen, das Vertrauen von Sportler:innen zu missbrauchen. Diese sind

    • Tabuisieren des Themas sexualisierte Gewalt (unter dem Motto "Bei uns doch nicht!"),
    • fehlende Sensibilisierung auf allen Ebenen (diese führen dazu, dass Übergriffe nicht erkannt werden),
    • fehlende Definitionen von Eignungskriterien für und Kontrolle von Mitarbeiter:innen und Trainer:innen, und
    • fehlende Ehren- und Ethikerklärungen.

    Sexualisierte Übergriffe und sexuelle Gewalt sind keine neuen Themen. Sie betreffen alle gesellschaftlichen Bereiche. Die bekannt gewordenen Vorfälle im Sport erhöhen die Aufmerksamkeit, wodurch Projekte (z. B. VOICE, Safe Sport-Studie) zur Aufarbeitung der Vorfälle, aber auch zur Erarbeitung von präventiven Maßnahmen zum Schutz der Sportler:innen ins Leben gerufen wurden.

    Die bekannt gewordenen Fälle in Oberösterreich führten zur Einberufung eines Expertengremiums, das für den Sport in Oberösterreich ein Präventions- und Schutzkonzept ausgearbeitet hat. Im September 2019 wurde das Konzept präsentiert und der Öffentlichkeit vorgestellt, in der Hoffnung, viele Nachahmer zu finden.

    Das Präventions- und Schutzkonzept basiert auf zwei großen Säulen:

    • Prävention
    • Intervention

    Neben der persönlichen Reflexion sind die Empfehlungen zur Prävention von sexualisierter Gewalt dieses Präventions- und Schutzkonzeptes darauf ausgelegt, auch das individuelle fachliche Vermögen aller Mitarbeitenden im Sport zu erhöhen. Damit lässt sich das Potenzial einer Institution (Verband, Verein), um sexualisierte Gewalt zu reduzieren und angemessen damit umzugehen, voll auszuschöpfen.

    Für die zukünftige Präventionsarbeit werden folgende Maßnahmen empfohlen:

    Durch die Erarbeitung von Leitbildern in den Organisationen, einem Verhaltensleitfaden für Trainer:innen, dem Installieren von Vertrauenspersonen und Verantwortlichen für die Prävention von sexualisierter Gewalt in den Verbänden und Vereinen soll vor allem die Aufmerksamkeitskultur gefördert und die Verantwortlichen für diese Themen sensibilisiert werden.

    Eine Aufmerksamkeitskultur zu entwickeln bedeutet, sich für ein wertschätzendes und respektvolles Miteinander einzusetzen, die eigenen Grenzen sowie die Grenzen des Gegenübers zu achten und bei Überschreitungen im Sinne einer Zivilcourage einzugreifen.

    Aus Studien (z. B. Safe Sports) wissen wir, dass durch die Enttabuisierung des Themas sexuelle Gewalt und dem offenen Umgang damit ein wesentlicher Beitrag zum Schutz der Sportler:innen geleistet wird, unter dem Motto: "Wo darüber gesprochen wird, passiert weniger!".

    Um die Verbände und Vereine vor Ort bei der Präventionsarbeit zu unterstützen, wird vom Land OÖ eine Koordinationsstelle eingerichtet, die auch dafür zuständig ist, die Präventionsmaßnahmen auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen und gegebenfalls anzupassen. Für die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen wird es ein Anreizsystem im Sinne von Förderungen geben.

    Neben dem Entwickeln von gemeinsamen Regeln in den Sportstätten und beim Ausüben des Sports soll auf die Transparenz in Trainings- und Sportsituationen geachtet werden. Nicht selten finden Übergriffe in den Räumlichkeiten von Sportstätten statt. Gelegenheitsstrukturen zu erkennen, aufzudecken und diese möglichst sicher zu gestalten sind wesentliche Bestandteile der Prävention.

    Das Thema muss in allen Sportstätten gut sichtbar gemacht werden (z. B. durch Plakate, Folder, Aufkleber), einerseits als Zeichen dafür, dass sich ein Verein kritisch mit dem Thema auseinander setzt und andererseits, damit betroffene oder verunsicherte Personen wissen, wohin sie sich wenden können, wenn es zu Grenzverletzungen kommt.

    Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Prüfung und die Eignung von Trainer:innen und Mitarbeiter:innen im Sport. Dies soll in Zukunft durch die Unterfertigung eines Ehrenkodex und dem Überprüfen der Unbescholtenheit durch die Vorlage eines "erweiterten Strafregisterauszugs Kinder- und Jugendfürsorge" geschehen. Zusätzlich soll das Thema Prävention von sexualisierter Gewalt in den Aus- und Fortbildungen für Übungsleiter:innen, Trainer:innen und Instruktor:innen verankert werden.

    Durch Workshops, Vorträge, Elternabende und Folder sollen die jungen Sportler:innen bestärkt werden. Inhalte der Workshops können sein: Förderung der Selbstbehauptung, Selbstwahrnehmung und dem Wahrnehmen der eigenen Grenzen, Sexualpädagogik oder Umgang mit neuen Medien.

    Um Personen, die im Verdachts- oder Anlassfall kontaktiert werden, Handlungssicherheit zu geben, ist es empfehlenswert, eine klare Struktur für die weiteren Maßnahmen zu entwickeln und bekannt zu machen. Für Sportverbände und Vereine wurde ein Interventionsleitfaden und ein Erste-Hilfe-Plan ausgearbeitet.

    Damit Betroffene aus dem Sport rasche Hilfe erhalten, wurde eine enge Zusammenarbeit mit der Krisenhilfe OÖ initiiert. Diese unterstützt Menschen in einer Krise und hilft bei der Stabilisierung. Die Krisenhilfe OÖ ist rund um die Uhr erreichbar.

    Zusätzlich wird eine "Fachstelle Safe Sport OÖ" eingerichtet. Diese Fachstelle ist eine One-Stopp-Servicestelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Sport, sowie eine Erst-Beratungsstelle für Mitarbeitende in Sportverbänden, Vereinen und Angehörige von Sportler:innen bei Verdachtsfällen und Unsicherheiten rund um das Thema sexualisierte Gewalt im Sport. Die Fachstelle übernimmt die Fallführung, koordiniert die Hilfsangebote und wickelt bei Bedarf die Organisation von Hilfeleistungen ab. Die Fachstelle wird in eine bestehende Fachinstitution integriert.

    Die Auseinandersetzung mit dem Thema sexualisierte Gewalt ist keine einfache und erfordert Offenheit und Reflexionsbereitschaft: Damit Erwachsene die Kinder und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt schützen können, braucht es die Anerkennung, dass sie geschieht, und zwar auch in unserem engsten Umfeld. Es braucht die Bereitschaft aufmerksam zu sein und den Mut einzugreifen und Haltung zu beziehen.

    Eine neue Studie aus Deutschland (Jugendinstitut, 2019) ergab, dass umfassende Präventionskonzepte in Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen, Internaten, Kliniken, Arztpraxen und Sportvereinen immer noch Mangelware sind und diese Einrichtungen in Sachen Prävention weit hinterher hinken.

    Ein trauriges Resümee der Studie: "Schutz und Hilfe hängen oft vom Zufall oder dem Engagement Einzelner ab." Es darf nicht von einem Zufall abhängen, ob einem Kind geholfen wird! Präventions- und Schutzkonzepte müssen Standard in all den oben angeführten Einrichtungen werden!

    Oberösterreich setzt mit dem Präventions- uns Schutzkonzept für den Sport in OÖ ein wichtiges Zeichen in die richtige Richtung und soll als Vorbild für viele weitere Einrichtungen und Institutionen dienen.

    Literatur

    • [1] Bettina Rulofs: Safe Sport-Studie Deutschland: Schutz von Kindern und Jugendlichen im organisierten Sport in Deutschland Deutsche Sporthochschule Köln, Institut für Soziologie und Genderforschung, 2016

    Weiterführende Informationen

    Kontakt

    praevention@pia-linz.at 
    für Fragen rund um das Thema steht Katja Koller, MA, gerne zur Verfügung.

    Telefonisch auch unter 0664 134 24 67.