Sexualität und digitale Medien – Online-Prävention sexualisierter Gewalt

Portrait Katharina Maierl. Foto: privat

Katharina Maierl setzt sich in ihrer Expertinnenstimme mit der Thematik "Sexualität und digitale Medien" auseinander. Kinder und Jugendliche sind durch digitale Medien früh mit sexuellen Darstellungen und Informationen - direkter und indirekter Weise - konfrontiert. Umso mehr benötigen sie kompetente Bezugspersonen, die sie über Phänomene wie Sexting, Online Dating, Pornografie, Datenschutz/Privatsphäre usw. informieren und sie somit vor sexualisierter Gewalt online schützen. Auch wenn wir Kinder und Jugendliche nicht vor allem schützen können, können wir mit ihnen gemeinsam über ihr Medienhandeln reflektieren und sie mit konkreten Informationen über Sexualität informieren. Denn die beste Prävention bei sexualisierter Gewalt ist die sexuelle Bildung.

Autorin: Katharina Maierl, MA, Medien- und Sexualpädagogin (saferinternet und Verein PIA), Mobbing- und Gewaltpräventionstrainerin (KiJA Oö) und Lehrende an der FH Hagenberg und PMU Salzburg

Thema Februar 2023

Beispiele

  • Toni zeigt Alex einen Porno, den er gerade zugesandt bekommen hat.
  • Charlie recherchiert in einer Suchmaschine zum Thema Analsex.
  • Jonas chattet seit Wochen mit einem Unbekannten aus einem Online-Game.
  • Alex schreibt mit anderen bisexuellen Personen in einem Online-Forum.
  • Fatima schickt jemandem ein Bild von sich in Unterwäsche.

Einleitung

Digitale Medien gehören zu unserer Lebenswelt und noch viel mehr zur Lebenswelt der Kinder die damit aufwachsen. Kinder und Jugendliche sind durch digitale Medien früh mit sexuellen Darstellungen und Informationen – direkter und indirekter Weise – konfrontiert. Das Internet ist für viele insbesondere zum Thema Sexualität zentrale Informationsquelle. Knapp 56 Prozent der Mädchen und 62 Prozent der Jungen haben ihr Wissen über Körper, Verhütung und Sexualität aus dem Internet (Jugendsexualität, 2020). Aber das weltweite Netz als Informationsquelle bringt Risiken und auch Chancen mit sich.

Wenn Sexualität die intimste Kommunikation ist und wir online über z. B. Social Media kommunizieren und uns informieren, dann ist es notwendig digitale Kompetenzen zu erlagen. Damit wir uns auch im digitalen Zeitalter sicher, verantwortungsvoll und gesund sexuell weiterentwickeln können. Daher sollte eine zeitgemäße (sexuelle) Begleitung von Kindern auch das Vermitteln von digitalen Kompetenzen (z. B. Schutz der Privatsphäre bei Onlinekontakten) miteinschließen.

Um Kinder und Jugendliche bei ihrer sexuellen Entwicklung zu unterstützen und zu begleiten, sollten sich Bezugspersonen mit Themen wie Sexting (=online Austausch von Nacktaufnahmen oder sexuellen Darstellungen), Internetbekanntschaften (Risiko: Cybergrooming/Sextortion), sowie Quellenkritik und Online-Pornografie auseinandersetzen.

Reflexion:

  • Wie gehe ich selbst mit den digitalen Medien um?
  • Welche Haltung habe ich dazu?
  • Wie schütze ich meine eigene Privatsphäre?
  • Welche Risiken, aber auch Chancen erkenne ich?
  • Wie viel nutzte ich Medien?
  • Was bin ich für Vorbild?

Internet und Pornografie als Informationsquelle

Kinder sind von Geburt an interessiert an Sexualität und nutzen im Laufe ihrer Entwicklung heutzutage selbstverständlich digitale Medien zur Informationssuche. Denn sich über Sexualität zu informieren, gehört zu einer gesunden Entwicklung.

So wie das Beispiel von Charlie am Beginn zeigt, informiert sich Charlie online über Analsex. Möglicherweise hat Charlie diesen Begriff in der Schule gehört und sich online auf die Suche nach einer Definition gemacht.

Beim Suchen sind die Informationen leider häufig ungefiltert und daher wäre es förderlich Kindern und Jugendlichen seriöse (Online-)Quellen anbieten (z. B. Bücher). Ebenso sollten Bezugspersonen ehrliche unaufgeregte Antworten auf die sexuellen Fragen ihrer Kinder geben und mit ihnen im Gespräch bleiben.

TippTipp

Hilfreiche Informationen

Auf der Website von Verein PIA unter "Downloads" finden Sie z. B. hilfreiche Informationen rund um das Thema sexuelle Bildung und Prävention von sexualisierter Gewalt, sowie Büchertipps und Links für alle Zielgruppen.

Aufklärungswebseiten

Mögliche seriöse Online "Aufklärungswebseiten" sind unter anderen:

Auch der YouTubeChannel "aufKlo" oder der Podcast "sexolOgisch" sind hilfreiche Onlineangebote rund um sexuelle Bildung.

Workshops

Aber auch ein sexualpädagogischer Workshop mit externen Expert:innen kann ein tolles Angebot für Kinder sein, bei denen all ihre Frage unaufgeregt, wissenschaftlich fundiert und kindgerecht beantwortet werden.

Verein PIA in Linz bietet sexualpädagogische Workshops für Bildungseinrichtungen.
Buchung unter: office@pia-linz.at oder über das Kontaktformular.

Reflexion:

  • Denke an deine Kindheit/Jugend.
  • Hast du alle sexuellen Begriffe verstanden?
  • Wie hast du dich zum Thema Sexualität informiert?
  • Was war hilfreich?

Wenige bis keine seriösen Informationen finden Kinder und Jugendliche in (Mainstream)Pornografie. Das Beispiel von Toni und Alex zeigt eine alltägliche Situation und zwar das gemeinsame Betrachten von pornografischen Darstellungen. Vermutlich machen sie das, weil sie beide bisher keine Informationen zum Thema Sex bekommen haben und sie sich mittels Online-Recherche informieren.

Daher wäre es hilfreich für Kinder und Jugendliche, wenn Bezugspersonen über Pornografie bzw. sexuelle Darstellungen online sprechen, ihnen seriöse Quelle anbieten und sie das Thema Konsens (Einvernehmlichkeit) – das häufig in Mainstreampornos nicht gezeigt wird – näherbringen. Denn die kostenlosen Pornos aus dem Netz sind keine Dokumentarfilme über Sexualität und haben selten bildenden Charakter, sondern sind eher mit dem Filmgenre "Horror" (viele Körperflüssigkeiten und übertriebene Aktivität) vergleichbar. Diese unrealistischen Darstellungen und sexuellen Fantasien Fremder können z. B. Unsicherheit der eigenen Körperwahrnehmung und Leistungsdruck verursachen.

Wichtig ist den Kindern zu vermitteln, dass jede:r bei der Betrachtung etwas anderes empfindet und Sex für jede:n etwas anderes ist. Bezugspersonen sollen wissen, dass Heranwachsende auch zufällig auf Pornos stoßen und auch in Film und Fernsehen Sexszenen vorkommen. Außerdem hat nicht jedes Kind bereits einen Porno gesehen oder bewertet die Betrachtung positiv, auch wenn dies medial oft so dargestellt wird.

Pornografie kann für Heranwachsende tatsächlich auch eine Informationsfunktion (z. B. ​​​​​ "ich möchte wissen wie Oralverkehr aussieht") haben, oder aber auch eine Ablösefunktion (z. B. "ich bin schon groß genug, ich frag nicht mehr meine Eltern") oder eine soziale Funktion (z. B. "ich möchte mitreden können, wenn alle schon mal einen Porno gesehen haben").

Pornografie ist präsent, auch bei Erwachsenen und daher gehört darüber geredet. Man kann natürlich versuchen ihnen den Zugang zu erschweren und zu verweigern, jedoch finden Kinder und Jugendliche in der Regel immer einen Weg.

Zusammengefasst kann das Zitat der Sexualwissenschaftlerin Prof. Dr. Döring (2011, S. 241) herangezogen werden:

"Wer die eigenen sexuellen Bedürfnisse besser kennt und artikulieren kann, wird auch gezielter und bewusster mit sexuell expliziten Medien umgehen können."

Reflexion:

  • Was ist meine eigene Haltung zu Pornografie und Sexualität?
  • Welche pornografischen Angebote kenne ich?
  • Was haben Pornos mit meiner Sexualität, meinen Wünschen/Bedürfnissen zu tun?

HinweisHinweis

Es sollte immer auch die rechtliche Grundlage beachtetet werden, denn das zugänglich machen von Pornografie an Minderjährige ist strafbar.

Internetbekanntschaften als Chance und Risiko

Kinder und Jugendliche informieren sich nicht nur online, sondern kommunizieren und tauschen sich auch in sozialen Netzwerken, wie TikTok oder Instagram aus. Sie nutzen aber auch Foren und Chats in z. B. Online-Games. So wie Jonas und Alex, die sich mit Unbekannten im Netz unterhalten. Zu flirten und sich mit den Peers auszutauschen gehört zu einer "normalen" kindlichen Entwicklung. Jedoch ist beim Chatten mit Fremden folgendes zu beachten:

  • Sei misstrauisch, denn du kennst nicht die tatsächliche Identität der Person
    (z. B. könnten die Fotos der Person gefälscht sein).
  • Gib keine persönlichen Daten weiter (echten Namen, Telefonnummer, Adresse, ...).
  • Überprüfe die Identität anhand einer spezifischen Aufgabe (Hinweis: trotzdem keine Garantie!): Z. B. sollte die Person in den nächsten 3 Minuten ein Foto von sich schicken und mit einer Milchpackung (Datum sichtbar) in der Hand und die Zunge rausgestreckt.

Internetbekanntschaften können sehr wichtig für Kinder und Heranwachsende sein. Wie am Beispiel von Alex, die:der sich seiner:ihrer sexuellen Orientierung möglicherweise nicht sicher ist und sich daher mit Gleichgesinnten im Internet austauscht (z. B. fühlt er sich dadurch nicht mehr alleine).

Bezugspersonen-Tipp: Sprechen Sie doch mit dem Kind darüber, wie einfach es ist Fotos zu manipulieren oder die Identität eines Fremden zu übernehmen und betätigen Sie auf Social Media Privatsphäreeinstellungen: saferinternet - Privatsphäre Leitfaden.

Falls Jonas aus unserem Beispiel beim online Zocken flirten sollte, wäre es wichtig ihn über Cybergrooming und Sextortion aufzuklären.

Cybergrooming ist, wenn sich Erwachsene als Kinder/Jugendliche ausgeben, sich das Vertrauen erschleichen und ein persönliches Treffen arrangieren mit dem Ziel der sexualisierten Gewalt.

Sextortion ist, wenn mittels geheimer Informationen oder Nacktaufnahmen Personen erpresst werden (z. B. Vermeidung einer Veröffentlichung durch Geldzahlung). Beides kann für die betroffene Person heftig sein und daher gehören Kinder geschützt, gestärkt und begleitet.

Cybergrooming und Sextortion ist strafbar und sollte, wenn möglich zur Anzeige (Achtung: Beweise mittels Bildschirmfoto sichern) gebracht werden. Es wäre also im Falle von Jonas präventiv, wenn ein mögliches Anbahnungs-Szenario durchbesprochen wird und wie er seine Privatsphäre online schützen kann.

Falls sich herausstellt, dass die Person vertrauenswürdig ist und ein persönliches Treffen vereinbart wird, ist es hilfreich die 3L-Regel (=Lärm, Licht und Leute) zu beachten. Diese Regel besagt, dass der Treffpunkt an einem öffentlichen Platz, am helllichten Tag, an einem öffentlichen Platz stattfinden sollte (z. B. f Freitagnachmittag in einem Einkaufszentrum). Zudem sollte eine Vertrauensperson (z. B. f Bezugsperson oder Freund*in) über das Treffen mit dem Onlinekontakt Bescheid wissen und sich gegeben falls einschalten.

Reflexion und Prävention:

  • Darf mein Kind im familiären Alltag "Nein"-Sagen und wenn ja, wird das "Nein" gehört und akzeptiert?
  • Gemeinsame Reflexion mit dem Kind:
  • Wie reagierst du, wenn dir online jemand zu nahekommt?
  • Welche Daten gibst du von dir preis und welche behältst du lieber für dich?
  • Warum solltest du das machen?
  • Was machst du, wenn du Angst hast den Chat zu beenden?
  • Wo kannst du dir Hilfe holen?

TippTipp

Missbrauchsdarstellungen von Kindern können gemeldet werden unter: www.stopline.at.

Bei Fatima bleibt es nicht beim online schreiben, sondern es kommt zum Austausch von Nacktaufnahmen. Dieser Austausch wird als Sexting (Englisch: „sex" und „texting") bezeichnet und ist ab 14 Jahren unter mündigen Minderjährigen (bis Vollendung des 17 Lebensjahr) in Österreich einvernehmlich erlaubt.

Fatima ist vorsichtig und zeigt sich in Unterwäsche und verdeckt ihre Tattoos, was ein guter Tipp beim Sexting ist.

Auch die Einvernehmlichkeit und Vertraulichkeit sollte mit den Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit Sexting besprochen werden. Zudem muss klar sein, dass sobald das Bild verschickt ist, es keine Kontrolle mehr gibt was damit geschieht. Wenn die Bilder von der empfangenden Person dann weitergeleitet oder hergezeigten werden, macht sich diese Person strafbar. Die Person, die es im Vertrauen versendet hat, hat somit nie Schuld, wenn die Nacktaufnahme verbreitet wird (no vicitim-blaiming!). Hier ist es wichtig, die betroffene Person zu unterstützen, Hilfe zu holen (z. B. über die Internet Onbudsstelle zu versuchen, die Bilder aus dem Netz zu entfernen) und eine Anzeige zu machen.

Leider missachten nicht nur Kinder untereinander die online Privatsphäre, sondern auch Erwachsene. Insbesondere stellen gehäuft "stolze" Bezugspersonen ungefragt und gutgläubig Bilder ihrer Kinder ins Netz. Dies ist problematisch, weil die Aufnahmen wiederum verbreitet werden könnten, fast unmöglich zu entfernen sind und schlimmstenfalls missbräuchlich genutzt werden (z. B. Mobbing). Die Privatsphäre der Kinder wird hier missachtet und auch Kinder haben das Recht auf Privatsphäre und somit das Recht am eigenen Bild.

Reflexion:

  • Frage ich mein Kind um Erlaubnis, wenn ich das Foto verbreite?
  • Was für Aufnahmen meines Kindes verbreite ich?
  • Was vermitteln wir den Kindern, ungefragt ihre Fotos online zu stellen?
  • Was möchte ich für ein Vorbild sein?

Eines muss klar sein: Wie die Kinder in den Beispielen bewegen sich Kinder und Jugendliche im Internet. Wir können sie nur bedingt vor den Gefahren im Internet schützen, denn sie können zufällig darauf stoßen oder finden einen Weg (Internet-)Verbote zu umgehen. Daher ist es umso wichtiger als erwachsene Person Interesse am online und offline Leben der Kinder zu haben (Beziehung), sowie offen und unaufgeregt mit ihnen über Sexualität und digitale Medien zu sprechen.

Literatur

Weiterführende Informationen