Demokratiebildung als Gewaltprävention am Beispiel des Klassenrats

Portrait Barbara Wick
Portrait Anouk Kaltenbach

Anouk Kaltenbach und Barbara Wick beschäftigen sich im Artikel mit Gewaltprävention durch Demokratieerziehung, wobei der Klassenrat als Beispiel dient, um echte Partizipation und demokratische Werte zu fördern und somit gewalttätige Konflikte zu verringern. Schulsozialarbeiter:innen können Lehrer:innen und Schüler:innen beim Klassenrat kontinuierlich unterstützen, indem sie bei der Einrichtung und Durchführung aktiv begleiten.

Autorinnen: 
Anouk Kaltenbach, Absolventin eines Bachelors in Psychologie, derzeit Studentin des Masters Friedens- und Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg 
Mag.a (FH) Barbara Wick, Sozialarbeiterin, Mediatorin, Supervisorin, Deeskalationstrainerin und Theaterpädagogin; Pädagogische Leiterin des Friedensbüro Salzburg, Lehrauftrag an der FH Puch-Urstein und freiberuflich in den genannten Berufsfeldern tätig.

Thema Dezember 2023

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Frieden ist kein starrer Zustand, sondern ein lebendiger Prozess, der gelernt werden kann. Getragen von dieser Überzeugung initiieren und begleiten wir – das Friedensbüro Salzburg – demokratische Lernprozesse, um ein gewaltfreies Miteinander auf unterschiedlichen Gesellschaftsebenen zu fördern. Im vorliegenden Artikel beschäftigen wir uns mit der Prävention von Gewalt durch Demokratieerziehung. Am Beispiel des Klassenrates als demokratisches Selbstregulierungsinstrument und Selbstbestimmungsorgan soll verdeutlicht werden, dass echte Partizipation, demokratische Werte und Prinzipien forciert und dazu beiträgt gewalttätige Konflikte zu verringern.

Um uns der die Bedeutung des Klassenrates nähern, erläutern wir zunächst den Begriff der "Demokratieerziehung" und deren Zusammenhang mit Gewaltprävention. Der Begriff der "Demokratieerziehung" liegt im Trend und dabei steht das Erleben politischer Beteiligung im Fokus (vgl. Becker 2020, S. 17 ff.). Im hierarchisch-geprägten Schulalltag ist dieses demokratische Erleben eine Seltenheit, denn die klassische Politische Bildung versucht oft Schüler:innen politische Werte auf einer intellektuellen Ebene zu vermitteln, die der Lebensrealität der Schüler:innen jedoch entgegensteht. Demokratieerziehung hingegen versucht die Lebensrealität der Schüler;innen zu verändern, sodass demokratische Beteiligung zu einer selbstverständlichen Erfahrung wird. Es soll nicht nur Wissen vermittelt und Erfahrungen ermöglicht werden, sondern dadurch auch die persönliche Entfaltung der Kinder und Jugendlichen unterstützt sowie zwischenmenschliche Fähigkeiten gefördert werden (vgl. Lorenzen 2021, S. 4). Durch diese vielseitige Zielsetzung trägt Demokratieerziehung auf unterschiedliche Weisen zu einem gewaltfreien Miteinander bei. Einerseits wird durch die Stärkung der eigenen Identität, die Anerkennung aber auch Reflektion der eigenen Person und der Vermittlung einer moralischen Orientierung die Zuwendung zu extremistischen Ideologien verhindert (vgl. Beutel et al. 2016, S. 463). Schüler:innen wird ermöglicht, demokratiefeindliche Positionen zu erkennen, kritisch zu hinterfragen und sich von ihnen zu distanzieren.

Demokratieerziehung vermag jedoch nicht nur politisch-motivierte Gewalt zu verhindern, sondern wirkt sich andererseits auch auf weitere Formen der Gewalt aus. Die demokratische Einbindung von Kindern und Jugendlichen fördert zentrale Fähigkeiten des menschlichen Zusammenlebens. Durch den demokratischen Aushandlungsprozess lernen die Kinder und Jugendlichen Kompromissfähigkeit, Selbstreflexion, Toleranz, Verantwortungsübernahme und Empathie (vgl. Beutel et al. 2016, S. 471/Lüter et al. 2020, S. 10). Diese "Demokratiekompetenzen" ermöglichen Kindern und Jugendlichen konstruktive Formen der Konfliktbearbeitung und machen Gewalt als Strategie dadurch unnötig.

Die Demokratieerziehung im schulischen Kontext steht jedoch vor einigen Hürden. Bisher ist die Demokratieerziehung in der Lehramtsausbildung kaum verankert. Lehrer:innen verfügen daher meist über keinerlei Knowhow in diesem Bereich und haben auch selten die Ressourcen sich dieses im Nachhinein zu erarbeiten (vgl. Wachs et al. 2021, S. 289).

Auch die bereits erwähnte hierarchische Organisation in Schulen erweist sich als Schwierigkeit für die Demokratieerziehung. Während in der Wissenschaft der Ruf nach Demokratieerziehung immer lauter wird, verhallt diese Forderung oft angesichts der starren Ordnung in Schulen. Oft wird behauptet, Schüler:innen seien noch zu jung, um kompetent den Schulalltag mitbestimmen zu können (vgl. Beutel et al. 2016, S. 468).

Wenn man Kindern und Jugendlichen jedoch Raum für demokratische Entfaltung bietet, wird man überrascht sein, wie stark die Erfahrung demokratischer Praxis die soziale und kognitive Entwicklung der Schüler:innen fördert.

In diesem Kontext hier kommt der Klassenrat zum Einsatz. Idealerweise wird er schulweit oder innerhalb eines gesamten Jahrgangs eingeführt. Die Sitzungen finden im Stuhlkreis statt und sollten besonders zu Beginn wöchentlich abgehalten werden. Die Moderation und Durchführung kommen von den Schüler:innen selbst.

Der idealtypische Ablauf kann folgendermaßen aussehen:

  1. Themenfindung: Dazu können die Schüler:innen beispielsweise Zettel in einen Briefkasten werfen oder an die Pinnwand heften.
  2. Sichtung und Reihung nach Wichtigkeit und Dringlichkeit.
  3. Ritualisierter Einstieg und Begrüßung durch die Vorsitzende / den Vorsitzenden: Beispielsweise durch eine "positive Runde", in der Erfolge, positive Ereignisse oder Lob für besondere Leistungen geteilt werden.
  4. Verlesen des Protokolls und Überprüfung von Entscheidungen der letzten Sitzung: Falls es noch offene Punkte gibt, wird hier der aktuelle Stand besprochen.
  5. Abarbeiten der Tagesordnung: Neben klasseninternen Angelegenheiten wie die Gestaltung des Klassenraumes werden hierbei auch angestaute Konflikte bearbeitet und tagespolitische Themen oder gesellschaftliche Herausforderungen thematisiert.
  6. Ideen sammeln und diskutieren: Die Schüler:innen bringen, ihre Ideen zu den vorgestellten Themen ein. Lösungsansätze werden entwickelt und verschiedene Perspektiven berücksichtigt.
  7. Entscheidungen treffen und protokollieren
  8. Danke und Beendigung durch die Vorsitzende / den Vorsitzenden.

Schüler:innen erfahren durch den Klassenrat eine Stärkung ihrer Selbstwirksamkeit. Die damit verbundenen Fähigkeiten und Fertigkeiten – wie etwa demokratische Werte anzuerkennen, eigene Interessen einzubringen, sich für andere einzusetzen sowie unterschiedliche Meinungen zu tolerieren und Konflikte konstruktiv aushandeln zu können – müssen sich kontinuierlich entwickeln und permanent reflektiert werden. Der Klassenrat ist prozessorientiert und braucht Zeit, Geduld und die Offenheit, sich ausprobieren und auch Fehler machen zu dürfen. Dazu braucht es lösungsfokussierte Methoden des gemeinsamen Arbeitens, die wiederum von den Themen abhängig sind. (vgl. Fairend 2016, S. 4-5)

Ein gut strukturierter Ablauf, klare Zuständigkeits- und Verantwortungsverteilung sowie feste Ämter und Rituale helfen bei diesem Rollenwechsel. Die Hauptverantwortung für den pädagogischen Prozess bleibt allerdings immer bei der Lehrkraft. Planen Schüler:innen etwa ein Vorhaben, das (schul-)rechtlich nicht umsetzbar ist, werden die gemeinsam erarbeiteten Regeln nicht von der Klasse selbst reguliert, erfordert es ein Einschreiten der Pädagog:in.

Langfristig wäre eine kontinuierliche Begleitung oder sogar vollkommene Integration der Demokratieerziehung in den Alltag der Schüler:innen wünschenswert.

Das Angebot des Friedensbüro – Salzburg, dockt an dieser Stelle an. Mit dem Seminar "einfach klasse! Demokratie im Klassenrat leben" wurde eine kompakte und gut strukturierte 1 Tages Fortbildung für Pädagog:innen aller Schulstufen und psychosoziale Fachkräfte entwickelt.

Ebenso bietet das Friedensbüro auch die Möglichkeit, Schulen im Rahmen eines Semesters längerfristig zu begleiten. Hierbei setzt das Konzept direkt an den Besonderheiten und Bedürfnissen eines Schulstandortes an. In Zusammenarbeit mit einer Lenkungsgruppe, die sich aus Pädagog:innen der jeweiligen Projektschule zusammensetzt wird der Klassenrat im schulischen System implementiert, um als partizipatives und mitbestimmendes Instrument im Schulalltag zu wirken. 

Literatur

  1. Beck, S.; Blank J. (unbekannt): Der Klassenrat. Grundlagen und Umsetzung, Bismark.
  2. Becker, H. (2020): Demokratiebildung und politische Bildung in den Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendarbeit (SGB VIII § 11-13), Deutsches Jugendinstitut e. V.. München.
  3. Beutel, W., Edler, K., Förster, M., Veith, H. (2016): Demokratiepädagogik als präventionswirksame Idee. In: Frindte, W., Geschke, D., Haußecker, N., Schmidtke, F. (Hrsg.): Rechtsextremismus und "Nationalsozialistischer Untergrund". Wiesbaden. S. 463-479.
  4. Fairaend (Hrsg.) (unbekannt): Workshop: Lösungsfokussierter Klassenrat. Köln.
  5. Martins, A.; Elverich, G. (2019): Respect Coaches – Gelingende Kooperation von Schule und außerschulischer Bildung zur Stärkung der Demokratiebildung. In: Deutschen Vereinigung für politische Bildung (Hrsg.): Polis. Frankfurt a.M.. S. 14-17.
  6. Lorenzen, H. (2021): Jugendliche haben ein Recht auf Politische Bildung und Beteiligung. Perspektiven aus dem 16. Kinder- und Jugendbericht für die Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit. In: Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit (Hrsg.): DREIZEHN. Berlin. S. 4-7
  7. Lüter, A.; Bergert, M.; Peters, C. (2020): Gewaltprävention in der Schule. Praxismaterialien zu Programmen, Projekten, Literatur und Links. Berliner Forum Gewaltprävention. Berlin.
  8. Nugel, M. (2022): Politische Bildung im Studium der Sozialen Arbeit: Gegenwart und Zukunft. Politische Bildung als Bildungsgegenstand im Studium der Sozialen Arbeit.
  9. In: Evangelische Hochschule Nürnberg (Hrsg.): Forschung, Entwicklung, Transfer - Nürnberger Hochschulschriften. Nürnberg. S. 229-240.
  10. Stock, M., Mangold, J. (2016): Lösungsfokussierter Klassenrat, Seminarmaterial. Köln. S 4-5
  11. Wachs, S., Schubarth, W., Krause, N., Ballaschk, C., Schulze-Reichelt, F., Bilz, L. (2021): Hate Speech als Herausforderung für Schule und Lehrkräftebildung. In: Wachs, S., Koch-Priewe, B., Zick, A. (Hrsg.): Hate Speech - Multidisziplinäre Analysen und Handlungsoptionen. Wiesbaden. S. 279-297

Weiterführende Informationen