Gewalt an Frauen* und mitbetroffene Kinder im Medienkontext

Birgit Wolf appelliert in ihrem Artikel zum neuen Forschungsdossier an die Verantwortung der Medien im Zusammenhang mit Gewalt an Frauen. So fordert die Istanbulkonvention im Artikel 16 Medien zu Selbstregulierungsmaßnahmen anzuregen. Auch die Pekinger Aktionsplattform betont in ihrem Abschnitt J "Gender und Medien" den Beitrag der Medien zu Gleichstellung und Beendigung der Diskriminierung von Frauen. Seit 2016 kann in diesem Zusammenhang auch auf neue wissenschaftliche Daten zurückgegriffen werden.

Autorin: Dr.in Birgit Wolf - Sozialwissenschafterin, Lehre, Forschung und Beratung mit Schwerunkt Gender, Medien, Gewaltprävention, Lektorin an der Universität Wien und Graz, Beraterin bei Frauenhelpline 0800 222 555, Verein AÖF. Kontakt: office@birgitwolf.net

Thema April  2021

Einleitung

An die Verantwortung der Medien wird im Zusammenhang mit Gewalt an Frauen immer wieder appelliert, so fordert die Istanbulkonvention im Artikel 16 Medien zu Selbstregulierungsmaßnahmen anzuregen. Auch die Pekinger Aktionsplattform betont in ihrem Abschnitt J "Gender und Medien" den Beitrag der Medien zu Gleichstellung und Beendigung der Diskriminierung von Frauen.

Seit 2016 können wir in diesem Zusammenhang auch auf neue wissenschaftliche Daten zurückgreifen: Die Eurobarometerstudie 2016 (EBS 449) lieferte neue Daten zu Einstellungen der EU-Bürger:innen bezüglich Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt und die MediaAffairs Studie (2020) zur Berichterstattung über Gewaltkriminalität an Frauen im Jahr 2019.

Angesichts des Höchststandes an Frauenmorden in den Jahren 2018 und 2019 folgt nun eine Gesamtbetrachtung der Medienbezüge zum Thema Gewalt an Frauen* und mitbetroffene Kinder in einem neuen Forschungsdossier anhand folgender Fragestellung: "Welche Anhaltspunkte im Kontext von Medien und Gewalt an Frauen* und mitbetroffene Kinder lassen sich mit Fokus auf Gewaltprävention auffinden?"

Das anwendungsorientierte Forschungsdossier beruht methodisch auf einer qualitativ-explorativen Desk-Research und Analyse mittels hermeneutisch-interpretativer Vorgehensweise. Aufgrund der übergreifenden Themenstellung von 3 sehr großen Forschungsfeldern (Medieninhalts-, Rezeptions-/Meinungsforschung, Medienwirkungsforschung beschränkt sich die Untersuchung auf folgende Aspekte:

  1. Information wer liefert welche Information über Gewalt an Frauen* und mitbetroffene Kinder?
  2. Darstellung – wie wird diese Information von den Medien aufgegriffen und dargestellt?
  3. Effekte von Mediengewalt – wie kann sich Mediengewaltkonsum auf Kinder und Jugendliche auswirken?

Im Anschluss wird auf Auslassungen und Verstärkungen medialer Diskurse sowie Handlungsfelder zur Gewaltprävention eingegangen. das Dossier auf eine nur explorativ, exemplarisch.

Hintergrund

Die zunehmende Mediatisierung verunmöglicht die Unterscheidung von politischen Prozess und medialem Diskurs, beide bedingen sich gegenseitig. Die Kultivierung einer vergeschlechtlichten Gewaltberichterstattung gilt als weit verbreitet in der westlichen Kultur, Frauen sind als Opfer überrepräsentiert während sie in der Politik- und Wirtschaftsberichterstattung stark unterrepräsentiert bleiben.

Hinzu kommt eine normalisierte symbolische Gewalt an Frauen* in Medienrepräsentationen durch Sprache, Film, Werbung, Computer- und Onlinespiele, Fashion, Musikvideos etc. (Wolf, 2018). Zwar nimmt das öffentliche Interesse am Thema männlicher Beziehungsgewalt gegen Frauen zu, die aktuelle Darstellungsweise dieses Medienthemas löst jedoch die gewaltstützenden Einstellungen, Vorurteile und Mythen nicht auf.

Dennoch widerspricht feministische Wissenschaft einem reinen "media blaming", da so die Verantwortung der Täter*schaft und der Politik verschleiert würden.

Interpersonale Gewalt ist als ein multifaktorielles Geschehen zu betrachten, einschließlich übergreifender Strukturen einer Gesellschaft. Es handelt sich also um strukturelle, diskursive und symbolische Formen der indirekten Gewalt. Auf der Makroebene finden folgende Gewalt begünstigende Faktoren nach Hagemann-White et al. (2010):

  1. Frauen*abwertung
  2. Männlichkeit
  3. Status von Kindern
  4. Mediengewalt
  5. Straffreiheit

Information und mediale, vergeschlechtlichte Gewaltdiskurse

Während wir auf umfangreiche Prävalenzdaten zu Gewalt an Frauen* einschließlich sexualisierter Gewalt durch die Studien der Europäischen Grundrechteagentur (FRA, 2014) und das Österreichische Institut für Familienforschung (ÖIF, 2011) zurückgreifen können, bleiben bestimmte Opfergruppen und Gewaltformen marginalisiert.

So fehlt es zum Beispiel and Prävalenzdaten für ältere Frauen, oder Frauen*Lesben*Inter*Trans* (FLINT* bzw. LGBTIQ+). Größere Vulnerabilität und hohe Gewaltbelastung von Frauen* mit Beeinträchtigung sind durch Seidler und Mandl (2019) bekannt, jedoch bleibt diese Opfergruppe großteils unsichtbar.

Auch die enorme Belastung von Frauen* und Mädchen* im Netz, vorallem der jungen Generation ist nachgewiesen (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte & Weisser Ring Verbrechensopferhilfe, 2018).

Gewalterfahrungen in der Kindheit finden wir ebenso (FRA 2014, ÖIF 2011), jedoch bleibt von Kindern miterlebte genderbasierte Gewalt in der Familie unerwähnt. Nur die Möwe erhebt auch die Form der miterlebten Gewalt, allerdings ohne Genderdimension. Diese könnte bei zukünftigen Erhebungen wertvolle Erkenntnisse liefern.

Wie bereits erwähnt, bildet Österreich nach einem massiven Anstieg 2017 ein trauriges Schlusslicht mit seinem Höchststand an Femiziden in den Jahren 2018 und 2019. Insbesondere der Beleg über die frauenabwertenden und Täter-Opfer-verkehrenden Einstellungen zu Gewalt an Frauen durch die Eurobarometerstudie (Europäische Kommission 2016), bei der Österreich ebenso hinter dem europäischen Schnitt zurück liegt, sollte doch zu politischer Verantwortung führen. Mit einer erschreckenden Akzeptanz des Geschlechtverkehrs ohne Einwilligung bei 32 Prozent der Befragten landet Österreich an letzter Stelle der EU.

Die öffentlich gewordene sexualisierte Gewalt durch #metoo, sowie die Empfehlung von bewusstseinsbildenen Maßnahmen durch die Eurobarometerstudie als auch durch den GREVIO Evaluierungsbericht (BKA, 2018) zur Umsetzung der Istanbulkonvention führen ins Leere. Es gibt keine öffentlich-rechtlichen Kampagnen zur Primärprävention von Gewalt an Frauen und frauenabwertenden, gewaltstützenden Einstellungen!

Im Gegenteil, die jährlichen Veröffentlichungen der Kriminalstatistik fokussieren volumsmäßig auf die Herkunft der Beschuldigten bzw. Täter*, während detaillierte Daten zur genderspezifischen Dimension der Gewaltkriminalität unsichtbar bleiben.

Zu diesem Ergebnis kommt nicht nur der GREVIO Bericht (BKA, 2018), sondern auch die vom BMI eingesetzte Screening-Gruppe Frauenmorde (Haider und Schlojer, 2020). Befeuert wird der Fokus auf Herkunft jedoch nicht nur durch die Art und Weise der Darstellung der Kriminalstatistik, sondern auch durch die politische Kommunikation selbst.

Zum einen durch Äusserungen, die der Kulturalisierung und Ethnisierung von Gewalt an Frauen* zuzurechnen sind (Stichwort "importierte Gewalt"). Zum anderen führen weder der Höchststand an Frauenmorden, noch das schlechte Abschneiden bei den Einstellungen zu Gewalt an Frauen* zu vermehrter Thematisierung durch die Politik. Nicht einmal 10 Prozent macht das Berichtsvolumen der politischen Kommunikation für dieses Problem aus, im Vergleich zur führenden Kopftuchdebatte mit 130.000 Wörtern.

Dies, obwohl genderbasierte Gewalt 20 Prozent der weiblichen Bevölkerung betrifft, mitbetroffene Kinder und der Anteil an Tätern* nicht mitgezählt! Das Thema "Frauen und Arbeit" rangiert gar an letzter Stelle mit beinah unsichtbarem Berichtsvolumen. Wissenschaftliche Studien (Hagemann-White et al. 2010) belegen es, der GREVIO-Evaluierungsbericht (BKA 2018) fordert es: Gleichstellung gilt als wesentlicher Faktor zur Bekämpfung von genderbasierter Gewalt, dazu bedarf es auch bewusstseinsbildender Sensibilisierungsmaßnahmen.

Erst der harte Lockdown im Frühjahr 2020 führt dazu, dass auch der Schutz vor Gewalt für Frauen* ein Teil der Kampagne zur Corona-Pandemie wird und Minister:innen gemeinsam für Gewaltschutz für Frauen* auftreten.

Ausblick, Handlungsfelder und Visionen

Das Forschungsdossier "Gewalt an Frauen* und mitbetroffene Kinder im Medienkontext" liefert eine Gesamtbetrachtung zum medialen Diskurs. Es zeigt den dringenden Bedarf der Gegensteuerung durch Regierung mittels öffentlich-rechtlicher Kampagnen zur Primärprävention auf, da die frauenabwertenden Einstellungen als gewaltbegünstigenden Faktoren gelten.

Ebenso bedarf es den Blick auf das Miterleben der Gewalt an Frauen durch ihre Kinder, sowie Gewalterfahrung in der Kindheit zu lenken und verstärkt Maßnahmen der Psychoedukation zu setzen. Ebenso Einstellungen von Journalist*innen im Boulevard zu hinterfragen und verstärkt zu sensibilisieren.

Weiters empfiehlt es sich, das Datendashboard zu Gewalt an Frauen* und mitbetroffene Kinder in Spanien als Vorbild zu nehmen, sowie auch deren jährliche Kampagnen- und Monitoringarbeit. Spanien gilt seitens der Vereinten Nationen im Gewaltschutz und der Gleichstellung von Frauen als Rollenvorbild.

Schaffen wir ein Klima für ein Speaking-Out über Erfahrung und Überleben von Gewalt, ohne Täter-Opfer-Umkehr und Schuldrhetorik. Begreifen wir Gewalterfahrungen in all ihren Facetten, auch unsere eigene Gewaltbiografie. Sorgen wir für eine gesamtgesellschaftliche Integration von Gewalterfahrungen, auch der intergenerationalen Gewaltbelastung aus 2 Weltkriegen, um sich der Vision eines gewaltfreien Lebens für alle, Erwachsene und Kinder, Schritt für Schritt anzunähern.

Forschungsdossier

Wolf, Birgit: Gewalt an Frauen* und mitbetroffene Kinder im Medienkontext. Ein Forschungsdossier (PDF, Printversion).
Bundeskanzleramt, Sektion VI Familie und Jugend, Abteilung VI/2 Kinder- und Jugendhilfe, 2021

Literatur

  • [1] BKA Bundeskanzleramt (nichtamtliche Übersetzung: Felicitas Hueber, F.): GREVIO’s (Basis-)Evaluierungsbericht über gesetzliche und weitere Maßnahmen zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) Österreich. Digital Print Center, 2018
  • [2] Europäische Kommission: Spezial-Eurobarometer 449 - November 2016 "Geschlechtsspezifische Gewalt" Zusammenfassung. 2016
  • [3] FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte: Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung. Ergebnisse auf einen Blick. Luxemburg Amt für Veröffentlichungen, 2014
  • [4] Hagemann-White, C., Kelly, E., & Römkens, R.: Machbarkeitsstudie zur Bewertung der Möglichkeiten, Aussichten und des bestehenden Bedarfs für die Vereinheitlichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf den Gebieten Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Kinder und Gewalt wegen sexueller Orientierung. European Union, 2010
  • [5] Haider, I. und Schlojer, W.: Ergebnisse der Screening-Gruppe. GEWALTSCHUTZGIPFEL 2020 am 23.11.2020, Präsentationsfolien. BKA, ALES, 2020
  • [6] Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte & Weisser Ring Verbrechensopferhilfe: Gewalt im Netz gegen Frauen & Mädchen in Österreich. 2018
  • [7] MediaAffairs: Frauen – Politik – Medien, Jahresstudie 2018. 2019
  • [8] MediaAffairs: Gewalt gegen Frauen*. Jahresstudie 2019. Analyse der Berichterstattung über Gewaltdelikte an Frauen* und die Rolle der Medien. Wien, 2020
  • [9] ÖIF - Österreichisches Institut für Familienforschung an der Universität Wien: Gewalt in der Familie und im nahen sozialen Umfeld. Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern. Wien, 2011
  • [10] Seidler und Mandl: Good Practice-Beispiele. In: Mayrhofer, H., Schachner, A., Mandl, S., Seidler, Y., Erfahrungen und Prävention von Gewalt an Menschen mit Behinderungen. 426-452, Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz. Wien, 2019. S. 426ff.
  • [11] Wolf, B.: Gender-based violence in discourse. A comparative study on anti-violence communication initiatives across Europe, in Austria and Spain. Anàlisi. Quaderns de Comunicació i Cultura, 59, 1-27, 2018