Gewaltprävention durch Psychohygiene im Sozialbereich

Portrait Daniela Graf-Kainz. Foto: priv

Im folgenden Artikel erfahren Sie mehr über psychohygienische Maßnahmen zur Reduzierung von Überforderungsmomenten in sozial- oder pflegerischen Berufen. Beobachtungen und Erfahrungsberichte haben in den letzten Jahre häufig gezeigt, dass mangelnde Rahmenbedingungen, Überforderung, mentale Überlastung und ein hohes Stresslevel einen großen Einfluss auf das Entstehen von Gewaltsituationen haben können!

Autorin: MMag.a Daniela Graf-Krainz, Fachbereichsleitung der Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärntens; Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin

Thema August 2024

Motivbild Hängematte im Wald. Foto: Daniela Graf

Im Grunde genommen braucht es keine Erklärung dafür wie wichtig es ist, für sich selbst und für die eigene seelische Gesundheit Sorge zu tragen. Jedoch vergehen immer öfter Tage und Wochen, in denen man auf sich selbst "vergisst" und die eigenen Bedürfnisse hinten anreiht. Gerade im Arbeitsfeld Soziales, Therapie, Psychologie, Pädagogik und Pflege opfert man sich für andere auf, hilft und unterstützt mit aller zur Verfügung stehenden Kraft.

Wie wir wissen, hat Gewalt immer mehrere Eckpfeiler. Grond (2007, S. 24-26) veranschaulicht unterschiedliche Faktoren, welche, ein aggressives Verhalten verstärkend beeinflussen können. Stress, Überforderung und Anspannung sind einige der Indikatoren und eben diesen könnte mit psychohygienischen Maßnahmen entgegengewirkt werden.

Beobachtungen und Erfahrungsberichte haben gezeigt, dass schlechte Rahmenbedingungen, Überforderung, mentale Überlastung und ein hohes Stresslevel einen großen Einfluss auf das Entstehen von Gewaltsituationen haben.

Die Selbstpflege ist ein wichtiger Aspekt, um zum Beispiel im Pflegeumfeld langfristig bestehen zu können und auch mit Aggression und Gewalt konstruktiver umgehen zu können. Die Fachkraft ist immer wiederkehrendem Druck ausgesetzt, da die Tätigkeit mit den Menschen, trotz oft vorliegendem Zeit- und Personalmangels nach bestem Wissen und Gewissen verrichtet werden muss.

Die Psychohygiene setzt eben genau hier an, um ein Burnout zu verhindern und ein eigenes Gleichgewicht mit den Reaktionen herzustellen. Eine persönliche Ausgeglichenheit trägt also wesentlich zu einem gewaltfreieren Umgang mit Klient:innen/Patient:innen bei (Kienzle & Paul-Ettlinger 2007, S. 63).

Inzwischen ist es statistisch nachgewiesen, dass es zu weniger Gewalt kommt, wenn man sich selbst im seelischen Gleichgewicht befindet. Um dies besser gewährleisten zu können, sollte man präventiv auf die eigene Psychohygiene achten und sich bei Überforderungen Hilfe und Unterstützung von Fachpersonen holen. Die Tipps im Anhang können natürlich auch von jeder Person im Privatbereich angewendet werden, da jeder von uns auf sich selbst gut Achten muss. Leider kommen immer mehr Fachpersonen durch die entstandenen Mehrfachbelastungen in Ausnahmesituationen und massive Überforderungen, so dass sogar ausgebildete Fachkräfte mit Gewalt reagieren.

"Viel Ruhe beim Lesen der folgenden Inputs für eine entspanntere Zeit.
Ich achte gut auf mich, um dann auf andere achten zu können.“
"Psychohygiene", um Gewalt zu verhindern

Essenziell wäre es, sich in schwierigen Situationen mit dem jeweiligen Ereignis auseinanderzusetzen und Methoden zu finden, wie es am besten gelingen kann, die "Seele zu reinigen" und wie es gelingen kann, Überforderungen zu vermeiden.

Auf körperliche Zeichen ist dringend zu achten. Dies ist ein wesentlicher Teil, der auf ein zu viel hinweist und daher nicht ignoriert werden sollte. Immer wieder entstehen körperliche Beschwerden. Mitunter aufgrund von psychischen Belastungen, auf welche ebenfalls zu wenig geachtet wird.

Erste Anzeichen einer Überlastung können bereits ein schnellerer Herzschlag, eine erhöhte Muskelspannung oder eine schnellere Atmung sein.

Halten diese körperlichen Reaktionen dauerhaft an, kann dies allmählich zu Erschöpfungszuständen sowie zu negativen Folgen für die Gesundheit (bspw. Herz-Kreislauf-System, Verdauung, Kopf-, Nacken-, Rückenschmerzen, geschwächtes Immunsystem usw.) führen (vgl. Kaluza, 2018).

Ein ganzheitlicher achtsamer Umgang mit Körper und Geist ist daher wesentlich.

Definition von Psychohygiene

"Unter Psychohygiene wird die Lehre zur Wahrung der eigenen seelischen Gesundheit verstanden". Die Psychohygiene ist ein "liebevoller, achtsamer und mitfühlender Umgang mit 'mir' selbst und das Ernstnehmen eigener Bedürfnisse“. (vgl. Reddemann, 2003, S. 79)

Psychohygienische Maßnahmen bieten Unterstützung dabei, mit herausfordernden und belastenden Situationen im Alltag besser umzugehen und so die seelische Gesundheit zu wahren und zu fördern. Die Psychohygiene soll als erstes den Fokus auf alltägliche Schwierigkeiten setzen.

Durch einen bewussten inneren Umgang können Situationen, die die Seele belasten, aufgedeckt werden und aus dem Leben entfernt werden (vgl. Fengler, 2001, S. 195-198).

Eine gelungene Psychohygiene zeigt sich in zwei Phasen: Die betroffene Person darf erstens einen Trauerprozess durchleben und sich eingestehen, dass problematische Situationen zu der Arbeit gehören, welche sich nicht immer leicht verarbeiten lassen. Anschließend bedarf es einer Veränderung in Form eines neuen Handlungsmusters. Die Einsicht allein und das Eingeständnis, an seine Grenzen gekommen zu sein, reicht nicht aus.

Aus den Erlebnissen sollen dann neue Handlungsmethoden herausgearbeitet werden. Erst dann zählt der Prozess der Psychohygiene als abgeschlossen (vgl. Reddemann, 2003, S. 81).

Es werden drei Formen von Psychohygiene unterschieden, wobei keine klare Grenzziehung möglich ist. Die präventive Psychohygiene, die regenerierende Psychohygiene und die heilende Psychohygiene:

  • Die präventive Psychohygiene schützt die betroffenen Personen vor ersten seelischen Verletzungen. Sie dient als Abschirmung und innerlichen Schutz vor alltäglichen Schwierigkeiten und herausfordernden Situationen. Vor dem Eintreten von Schwierigkeiten erscheint es nicht immer offensichtlich, vorbeugend zu handeln und sich vorab zu schützen. Jedoch können so spätere, schwerwiegende Verletzungen der Seele vermieden werden.
  • Die regenerierende Psychohygiene dient als erstes Mittel, um sich mit den Folgen von Herausforderungen auseinanderzusetzen und Möglichkeiten zu ergreifen, diese zu verarbeiten ohne weiterführende negative Konsequenzen für das seelische Gleichgewicht.
  • Die heilende Psychohygiene ist bei akuten seelischen Belastungen einzusetzen und wird meist von einer psychologischen oder psychotherapeutischen Fachperson durchgeführt.

Methoden der Psychohygiene

Achtsamkeit

Der Begriff der Achtsamkeit stammt aus der Lehre des Buddhismus und meint die innere Haltung eines bewussten, geistigen Wachstums. Der Zustand der Achtsamkeit eröffnet der Person neue Perspektiven, um aufgeschlossen auf neue Ideen und Möglichkeiten zu reagieren. Gleichzeitig bewahrt die Achtsamkeit davor, sich voreilig in eine Idee zu stürzen und möglicherweise unbedacht zu handeln (vgl. Lützenkirchen, 2004, S. 27- 28). Das Leben bewusst wahrzunehmen, bedeutet auch, seine Lebensziele und Interessen zu kennen, wichtige Positionen im Leben benennen können und diese bewusst zu erleben; beispielweise sich für die Familie, für Freunde oder sich selbst Zeit zu nehmen. Der achtsame Lebensstil führt zur Verantwortlichkeit seiner eigenen Gesundheit. (vgl. Olpe & Seifritz, 2014, S. 154-156).

"Wenn ich sitze, sitze ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich esse, dann esse ich".

Das Tagesresümee

Das Tagesresümee ist eine kleine Übung, die am Ende eines Arbeitstages durchgeführt werden kann. Auf einem Blatt Papier werden chronologisch Erlebnisse und Gedanken des Tages vom Aufstehen bis zum Zeitpunkt des Niederschreibens notiert. Unter dieser langen Liste wird zum Schluss folgender Satz geschrieben: "Damit soll es nun für heute gut sein!!"
Dieser energische Satz beendet den Arbeitstag. Nun kann sich die Pädagogin von allen Gedanken rund um den Arbeitsalltag verabschieden und die Freizeit genießen.

Atemtechniken

Techniken zum bewussten Atmen helfen in akuten Situationen Gelassenheit zu bewahren oder nach aufwühlenden Reflektionen Ruhe beizubehalten. Mit dem bewussten Einatmen kommt die Person wieder in der Realität und bei sich selbst an.

Beim Ausatmen können alle negativen Gefühle und Belastungen hinausgelassen werden. Zwischen den Atemzügen wird die Stille aktiv wahrgenommen und somit Raum für mehr Ruhe gegeben. Die Atemübungen tief in den Bauch – gegebenenfalls mit Handauflegen – helfen sich zu beruhigen und wieder klare Gedanken fassen zu können.
 

BeispielBeispiel

Die rechte Hand auf den Bauch legen, tief in den Bauch einatmen bis er heraussteht und langsam wieder ausatmen, 10 Wiederholungen.
(auch in Situationen durchführbar, in denen man an die eigene Grenze stößt)

Selbstlob- Selbstbelohnung

Aufgrund von unterschiedlichen Umständen erhält man von außen oft zu wenig oder gar kein Lob und Wertschätzung für die eigene Leistung in der Arbeit. Darum scheint es immer wichtiger zu werden, dies für sich selbst zu tun. Zum Beispiel in Form einer köstlichen Speise, eines entspannten Abends in der Badewanne oder der Erfüllung eines sich lang ersehnten Wunsches (vgl. Fengler, 2001, S. 204).

Bewegungs- und Ruhemeditation

Meditation hilft den Zwang des Denkens zu überwinden und dient zur Entspannung. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass Meditationen eine positive Auswirkung auf das Gehirn haben. Sich der Umwelt zu entziehen und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, hilft nicht nur mit der aktuellen Stresssituation zurecht zu kommen, sondern hat auch vorbeugende Wirkung auf neue Herausforderungen (vgl. Olpe & Seifritz, 2014, S. 164-166). Meditationen können in unterschiedlichen Weisen angewendet werden.

BeispielBeispiel

Ein Beispiel für eine Bewegungsmeditation ist die Laufmeditation. Bei dieser Meditationsart wird jede Bewegung bewusst ausgeführt. Der Körper wird von Kopf bis Fuß wahrgenommen.

In aktiver Selbstbeobachtung soll man sich fragen, in welchem Tempo und welcher Umgebung der Lauf stattfindet. Abschließend reflektiert die Person sich selbst und fragt sich, wie sich die Situation nach der Bewegung verändert hat.

Sport und Fitness

Aktivitäten in Form von Sport und Fitness eignen sich als präventive Wirkung gegen psychosozialen Stress, steigern das Selbstwertgefühl, sind sinnstiftend und reduzieren Angst. Werden sportliche Tätigkeiten betrieben, fällt die Person oftmals in eine vollkommene Hingabe, den sogenannten Flow. Die Gegenwart wird vergessen und nach der Anstrengung fühlen sich Sporttreibende gesund und glücklich.

Musische und kreative Aktivitäten

Gute Erfahrungen gibt es mit musisch-kreativen Aktivitäten wie Tanz, Theater, Musik oder Malen. Sich in der Kunst auszudrücken, wirkt sich heilend und lehrreich auf die psychische Verfassung aus.

Reflexionshilfen

Manchen Personen fällt der innere Dialog mit sich selbst schwer oder sie lassen sich schnell ablenken. In diesem Falle könnte das Aussprechen von Gedanken Unterstützung bieten. Der Klang der eigenen Stimme kann sich beruhigend auf die seelische Verfassung auswirken. Die Reflexionsarbeit fällt beim lauten Aussprechen ebenfalls leichter, da sich die Person nicht zu schnell durch andere Gedanken ablenken lässt. Das Notieren und Aufschreiben hilft, das Erlebte strukturiert zu reflektieren und es dient dazu die Belastungen abzulegen, die Situation klarer zu sehen und neue Handlungsimpulse zu entwickeln.

Einsamkeit und Natur

Allein in der stillen Natur zu sein, kann ein Gefühl der Geborgenheit auslösen. In der Stille der Einsamkeit wird Kraft und neue Energie geschöpft. Entscheidend dafür ist die Fähigkeit, sich der Natur hinzugeben und die Stille allein auszuhalten und genießen zu können.

Fachliteratur lesen

Das Lesen im Allgemeinen fundiert nicht nur das Wissen der Einzelnen, sondern kann zu mehr Verständnis von belastenden Situationen führen. Oftmals fehlt es in schwierigen Situationen an Handlungsfähigkeit und Ohnmachtsgefühle werden verspürt. Es fördert das professionelle Handeln und bringt Sicherheit zurück. Belletristische Bücher, beispielsweise Romane oder Krimis dienen zur Entspannung, können Beruhigung auslösen und Gefühle von Frieden und Hoffnung erwecken.

Soziale Unterstützung

Ein Umfeld von Personen zu haben, die einen schätzen und umsorgen, ist für alle Menschen von großer Wichtigkeit und überaus wertvoll. Durch das soziale Netzwerk von Freunden, Familienmitgliedern, Bekannten, Arbeitskollegen oder auch Haustieren werden Gefühle von Wertschätzung, Liebe und Beachtung verliehen.

Oft hilft bei der Bewältigung der Problemlagen wirklich das alleinige Abladen ihrer Gedanken. Herausfordernde Schwierigkeiten zu benennen und so von der Seele zu reden, hat eine psychohygienische Wirkung. Ein offenes Ohr von einer geschätzten Person zu erhalten und Nähe, Mitgefühl und Akzeptanz zu erfahren, genügt oft, um einen konfliktreichen Arbeitsalltag zu bewältigen.

Unterstützung im Team

Eine hervorragende Ressource sind Gespräche im Team. Es geht um die eigentliche Unterstützung und wie das Team die betroffene Kolleg:innen stärken und motivieren kann. Intervision: Im Gespräch mit Kolleg:innen werden persönliche Anliegen und Schwierigkeiten in der Fallführung besprochen. Dank Rückmeldungen vom außenstehenden Kollegium kann die eigene Situation von einem anderen Blickwinkel betrachtet werden und dadurch neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden. Wichtig hierbei ist es, konstruktive und lösungsorientierte Feedbacks von den Mitarbeitenden zu erhalten.
 

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Ausprobieren und einen "psychohygienischen" Sommer mit viel Leichtigkeit, Entspannung und Humor.

Daniela Graf-Krainz

Literatur

  • Dima Zito, Ernest Martin (2020). Selbstfürsorge und Schutz vor eigenen Belastungen für Soziale Berufe: Mit Online-Materialien (Edition Sozial)
  • Grond, E (2007) Gewalt gegen Pflegende. Hans Huber Verlag, Bern.
  • Kienzle, T, Paul-Ettlinger, B (2007) Aggressionen in der Pflege. 3. Auflage, W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart.
  • Fengler, J. (2001). Helfen macht müde: Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher Deformation. Stuttgart: Klett-Cotta. Gussone, B., & Schiepek, G. (2000). Die "Sorge um sich": Burnout-Prävention und Lebenskunst in helfenden Berufen. Tübingen: dgtv-Verlag.
  • Müller, B. (2012). Professionell helfen: Was das ist und wie man das lernt. Ibbenbüren: Klaus Münstermann Verlag.
  • Olpe, H., & Seifritz, E. (2014). Bis er uns umbringt? Wie Stress die Gesundheit attackiert - und wie wir uns schützen können. Bern: Verlag Hans Huber.
  • Reddemann, L. (2003). Einige Überlegungen zu Psychohygiene und Burnout-Prophylaxe. Erfahrungen und Hypothesen. Zeitschrift für Psychotraumatalogie, Psychotherapiewissenschaften und Psychologische Medizin, S. 79-86.

Weiterführende Informationen