StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt: Partnergewalt im ländlichen Raum – Strukturelle Benachteiligungen, Herausforderungen und Gewaltprävention
Im Südburgenland, in den Bezirken Oberwart und Jennersdorf, findet seit dem Jahr 2021 die Umsetzung des Projektes "StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt" (©Sabine Stövesand) statt. Das Projekt "StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt" versteht sich als Gewaltpräventions- und Nachbarschaftsprojekt, welches Frauen, die von Partnergewalt betroffen sind, schützen soll. Partnergewalt findet überwiegend im eigenen Zuhause statt. Aus diesem Grund sollen Nachbarinnen und Nachbarn im Sinne der Zivilcourage aktiv werden. Der Fokus liegt klar auf der Präventionsarbeit: die Gesellschaft soll aufgeklärt, sensibilisiert und ermutigt werden hinzusehen und zu handeln. Zivilcouragiertes Handeln kann gewaltbetroffenen Frauen das Leben retten.
Autorin: Jennifer Watzdorf, BA, Sozialarbeiterin im Verein Frauen für Frauen Burgenland. Frauen-, Mädchen-, und Familienberatungsstelle Oberwart, Projektkoordinatorin für das Projekt "StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt" in den Bezirken Oberwart und Jennersdorf
Thema Jänner 2025
In Oberwart und Jennersdorf stoßen Jennifer Watzdorf und Sozialarbeiterin Jessica Rohrmoser wiederholt auf Herausforderungen in der täglichen StoP-Projektarbeit. Gewaltbetroffene Frauen, die auf dem Land leben, sind auf mehreren Ebenen strukturell benachteiligt – der Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung sowie die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten zeigt sich erschwert. Diese Tatsache bot ausreichend Anlass, sich dem Thema zu widmen. Der folgende Artikel macht strukturelle Benachteiligung sichtbar, zeigt Erfahrungen von gewaltbetroffenen Frauen auf und stellt einen Versuch dar aufzuzeigen, was es gerade "am Land", im ländlichen Raum, im Hinblick auf Opferschutz brauchen würde. Um den Rahmen nicht zu sprengen, liegt im folgenden Artikel die Stadtgemeinde Oberwart im Fokus, die über rund 8.000 Einwohnerinnen und Einwohner verfügt.
Gestaltung des Wohnraumes
"StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt" setzt da an, wo Partnergewalt passiert: im eigenen Zuhause. Der Grundgedanke dieses fachlich wertvollen Konzeptes ist nachvollziehbar, jedoch erweist sich das Wahrnehmen von Partnergewalt und in Folge das gewünschte und notwendige Handeln und Helfen als schwierig. In Oberwart kann eine Vielzahl von großen Einfamilienhäusern wahrgenommen werden. Die Häuser sind mit weitläufigen Gartengrundstücken ausgestattet und oftmals liegt das Nachbarhaus viele Meter entfernt. Es ist schlüssig, dass ein Gewaltakt von Nachbarinnen und Nachbarn erschwert beziehungsweise überhaupt nicht wahrgenommen werden kann – im Vergleich zu urbanen Räumen, wo Wohnungen eng aneinandergereiht liegen. Gewaltbetroffen Frauen, die wir im Zuge der Projektarbeit von "StoP" kennengelernt haben, bestätigen diese These. Eine Frau berichtete uns, dass jahrelang niemand den Horror mitbekommen hat. Sie habe zwar immer wieder geschrien und um Hilfe gerufen, doch sie wurde nicht gehört.
Weite Wege, magere Infrastruktur und Isolation
Als weitere Herausforderung sind nicht nur die ausgedehnten Grundstücke am Land zu nennen, sondern auch die weiten Wege zwischen den einzelnen Ortschaften und damit zu Anlaufstellen und Hilfsangeboten. Ergänzend zu erwähnen sind teilweise schwache Infrastrukturen in manchen Ortschaften (Beispiel: kaum funktionierendes Handysignal, schlechte Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und ähnliches). Betroffene Frauen erleben hier eine Benachteiligung und die Auswahl an verfügbaren Hilfsangeboten ist überschaubar. Viele Gewaltbeziehungen sind von Kontrolle und Isolation geprägt. So entsteht für die gewaltbetroffene Frau eine Situation, die nahezu nicht bewältigbar erscheint. Beratung und Zuflucht sind in solchen Fällen – vor allem für das Opfer – "unsichtbar" und es entstehen immer wiederkehrende Ohnmachtssituationen.
Die Arbeit von "StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt" braucht somit einen flächendeckenden und weitläufigen Auftritt, sodass Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit erfolgen kann. Eine gewaltbetroffene Frau muss mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, niederschwellig und unbürokratisch Hilfe suchen können und dann auch tatsächlich erhalten. Der Aufbau eines Hilfenetzes beziehungsweise von helfenden Beziehungen steht bei "StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt" daher im Mittelpunkt. Auch Personen, die aktuell keine Betroffenheit vorweisen, sollen durch eine breite StoP-Öffentlichkeitsarbeit erreicht werden.
Bekanntschaft am Land – ein Hindernis?
Genau mit diesem Ziel setzen wir seit 2021 öffentliche Aktionen, Veranstaltungen und Auftritte um – das Thema Partnergewalt muss mit all seinen Facetten sichtbar gemacht werden. Diese Präsenz nach Außen steht oftmals mit herausfordernden Inhalten in Verbindung. Möchte ich an einem Informations-Stand von "StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt" gesehen werden? Was könnten andere denken, wenn ich mich mit dem Thema beschäftige? Solche Bedenken und Vorbehalte begegnen uns immer wieder, weswegen Personen oftmals nur zögernd unsere StoP-Aktionen aufsuchen und zum Teil auch reservierte bis ablehnende Haltungen zeigen. Dieses Verhalten soll vermutlich signalisieren: "Ich habe mit dem Thema nichts zu tun!"
Doch nicht nur "das Gesehen werden" stellt ein Hindernis in der Präventionsarbeit dar. Im ländlichen Raum besteht eine engere Verbundenheit und Bekanntschaft untereinander – unter dem Motto "Jede/r kennt jede/n". Es ist davon auszugehen, dass dieser Faktor zur Verschleierung von Partnergewalt führt. Gewaltbetroffene Frauen erleben ein erhöhtes Gefühl von Scham, Schuld und Unsicherheit. Als Ausgangsthese ist festzuhalten, dass die Dunkelziffern am Land wesentlich höher sind. Immer wieder treffen wir in der Projektarbeit von "StoP" auf gewaltbetroffene Frauen, denen der ländliche Raum vermutlich im Wege steht beziehungsweise stand, eine Gewaltbeziehung zu verlassen.
"In unserem Dorf hat sowas keinen Platz. Jeder ist damit beschäftigt, dass das Haus passt, der Garten schön ist, auch die Familie. Und wissen Sie, was alles geredet wird…ich hätte mich damals zu Tode geschämt, wenn die das alle gewusst hätten. Heute ist es mir egal".
"…ich wusste schon, wo ich Hilfe bekomme. Aber: die Polizisten kannten wir alle. In einer Beratungsstelle wollte ich nicht gesehen werden. Wir haben eine Firma im Ort, jeder kennt mich – das wäre nicht so einfach gewesen für mich".
Die Bekanntschaft untereinander, von der berichtet wurde, zeigt sich auch im Hinblick auf die Exekutive. Wir treffen in unserer Projektarbeit viele Frauen, die sich über die Arbeits- beziehungsweise Vorgehensweise der Exekutive beschweren. Dabei möchten wir hier ausdrücklich erwähnen, dass es am Land natürlich auch sehr engagierte und sensible Beamtinnen und Beamten gibt. Wir beobachten aber Einschränkungen gewaltbetroffener Frauen bei der Suche nach Hilfe. Sie erhalten nicht die Hilfe und Sensibilität seitens der Exekutive, die sie sich in Folge ihrer persönlichen Betroffenheit, erwartet haben. Zwischen dem Täter und der Exekutive besteht ein vertraulicher Bekanntheitsgrad oder persönliches Naheverhältnis, Sympathien werden signalisiert – der gewaltbetroffenen Frau wird nicht geglaubt oder sie wird bloßgestellt, indem ihr von unterschiedlichen Seiten vermittelt wird, dass sie mit ihren Erzählungen übertreibe. Die patriarchale Haltung, die im ländlichen Raum stark verankert ist, und traditionelle Rollenbilder spielen eine wesentliche Rolle. Partnergewalt wird von vielen Beamtinnen und Beamten als "Privatsache" definiert, sie scheuen davor zurück, sich in familiäre Angelegenheiten einzumischen – insbesondere wenn auch hier das Merkmal "Bekanntschaft" erneut zutrifft. Unter solchen Umständen kommt es zu einem Zusammentreffen, welches nicht immer allen Bedürfnissen und dem Opferschutz gerecht werden kann. In vielen Situationen steht so die niederschwellige Streitschlichtung vor der Verhängung eines Annäherungs- und Betretungsverbotes. Wir begründen uns diese zum Teil umgesetzte Vorgehensweise von Beamtinnen und Beamten folgendermaßen:
- der Täter ist bekannt und er soll "geschützt" werden,
- das streitende Paar ist bekannt und der Konflikt soll "auf normalem Wege" gelöst werden,
- die Dynamiken von Partnergewalt sind nur gering bekannt und der regelmäßige, routinierte Umgang damit fehlt und
- als Beamtin oder Beamte wohnt man im selben Ort und möchte keine schlechten Erzählungen über sich entstehen lassen.
Problematisch an dieser Tatsache ist, dass sich gewaltbetroffene Frauen nach negativen Erfahrungen gut überlegen, erneut nach Hilfe zu suchen oder diese einzufordern. Erfahrene Bloßstellungen, Unterstellungen und/oder Schuldzuweisungen bringen betroffene Frauen in Ohnmachtssituationen. Hinzukommt, dass in solchen Fällen ein Ausweichen auf andere Personen aus der Exekutive nur schwer umsetzbar ist, schlichtweg, weil es sie nicht gibt.
Keine wohnortsnahe Hilfe
Gewaltbetroffene Frauen im ländlichen Raum wissen oftmals wenig über die vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten in ihrer Umgebung. Für viele am Land lebenden Frauen kann der Umstand, zuerst in die nächstgelegene Stadt fahren zu müssen, um sich an die dort vorhandenen Hilfsnetzwerke wenden zu können, abschreckend wirken. Sie schaffen es nicht in die Stadt zu fahren, weil sie sich dort vielleicht unwohl oder gar überfordert fühlen. In der Folge entsteht ein erhöhtes Gefühl des Alleingelassen-Seins in und mit der Situation.
In der Arbeit mit Frauen, die von Partnergewalt betroffen sind, stellen wir fest, dass die Betroffenen oftmals die von uns angebotenen "Ausweichmöglichkeiten" nicht annehmen wollen und es damit schwer wird, ihnen aus der Gewaltsituation zu helfen. Im Burgenland steht aktuell ein Frauenhaus zur Verfügung. Viele Gewaltopfer wollen aber die Strapazen der Entfernung vom eigenen Zuhause verbunden mit dem Wechsel in ein unbekanntes Umfeld nicht zusätzlich auf sich nehmen. Dies zeigt, dass es einen flächendeckenden und wohnortsnahen Ausbau an Hilfsmöglichkeiten – in Form von Beratungsstellen, Opferschutzeinrichtungen aber auch Übergangswohnungen, braucht. Gewaltbetroffene Frauen, die ohnehin eine massive Belastung in ihrer Situation aufweisen und oftmals deren gesamtes Leben umstrukturieren müssen, sollten einen begleitenden, niederschwelligen, unbürokratischen und schonenden Ausstieg aus der Gewaltbeziehung erfahren dürfen. Den Mut eine Gewaltbeziehung zu verlassen, mit all den Veränderungen und vielleicht negativen Auswirkungen, müssen sie ohnehin alleine aufbringen. Die Anpassung des Opferschutzes an den ländlichen Raum, kann diesen mutigen Schritt positiv bestärken und unterstützen.
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Frauen, die von Partnergewalt betroffen sind, im ländlichen Raum Hürden erleben und überwinden müssen. Der Ausstieg aus der Gewaltbeziehung ist im ländlichen Raum erschwert. Ein vom Wohnort entferntes Hilfsangebot, eine schwache Infrastruktur und das Verstrickt-Sein in "gekennzeichneten" Bekanntschaften sowie patriarchale Strukturen führen zu wesentlichen Benachteiligungen für Gewaltopfer am Land. Umso bedeutender wird eine breite und flächendeckende Ausweitung der Unterstützungsmöglichkeiten. Zugleich erhält die Präventionsarbeit eine immense Bedeutung im ländlichen Raum. Es braucht das Bewusstsein darüber, dass Partnergewalt keine Privatsache ist, die tabuisiert werden darf, und es braucht Wissen zum Thema Partnergewalt – sowohl im professionellen Kontext als auch in der gesamten Gesellschaft. Dynamiken, Kennzeichen und Merkmale, Mythen, Verhaltensweisen von Opfern und Tätern, Hilfsmöglichkeiten und Angebote sollen jeder und jedem bekannt sein. Denn: Ich kann Opfer sein. Ich kann aber auch die helfende Person sein. "StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt" macht deswegen unermüdlich in den Bezirken Oberwart und Jennersdorf weiter und setzt dort an, wo es am Meisten gebraucht wird!