empowHER* – Ein Peer-Projekt von Mädchen* und jungen Frauen* zu geschlechtsspezifischer Gewalt
Das Kooperationsprojekt des Vereins Amazone und des Mädchen*treffs der Offenen Jugendarbeit Dornbirn, gefördert durch das Bundeskanzleramt, beschäftigte sich über eineinhalb Jahre mit geschlechtsspezifischer Gewalt und stellte die Lebensrealitäten von Mädchen* und jungen Frauen* in den Mittelpunkt. empowHER* setzte Maßnahmen, die Mädchen* und junge Frauen* dazu befähigen, ausgehend von ihren Lebensrealitäten Expertise aufzubauen und in der Folge sowohl an Peers als auch an Erwachsene weiterzugeben. Inhalte und Erkenntnisse aus diesem Prozess wurden anschließend für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht, um ein breiteres gesellschaftliches Bewusstsein für geschlechtsspezifische Aspekte von Gewalt aus Perspektiven von Mädchen* und jungen Frauen* zu bilden.
Autorin: Verein Amazone und Mädchen*treff der Offenen Jugendarbeit Dornbirn
Thema Jänner 2023
Die langjährige Arbeit des Vereins Amazone und des Mädchen*treffs der Offenen Jugendarbeit Dornbirn zeigt, dass in Vorarlberg ein Mangel an präventiven Angeboten zu geschlechtsspezifischer Gewalt besteht, die Lebensrealitäten junger Menschen – insbesondere von Mädchen* und jungen Frauen* – in den Mittelpunkt stellen.
Es gibt zwar eine relativ breite Palette an gewaltpräventiven Angeboten – etwa Workshops an Schulen und in Jugendzentren – diese vernachlässigen jedoch geschlechtsspezifische Aspekte und intersektionale Perspektiven, die für das Thema bestimmend sind. Darüber hinaus werden die Lebensrealitäten von Mädchen* und jungen Frauen* häufig nur unzureichend abgebildet, etwa werden mädchenspezifische digitale Lebenswelten ausgeblendet oder stereotype Geschlechterrollenbilder bleiben unhinterfragt stehen.
Geschlechterstereotype Bilder prägen den Alltag vieler Mädchen* und junger Frauen* insbesondere in ländlichen Räumen nach wie vor sehr stark und wirken sich in Form von struktureller Gewalt etwa auf Berufswahl, Einkommen und die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit aus. Auch für diese Strukturen und Mechanismen gibt es wenig Bewusstsein.
Da insbesondere sexualisierte Gewalt, Mobbing oder Hass im Netz stark tabu- und schambehaftete Themen sind, fällt es Mädchen* und jungen Frauen* schwer, Handlungsstrategien zu entwickeln oder Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen. Seit COVID-19 verzeichnen Mädchen- und Fraueneinrichtungen zunehmend dramatische und prekäre Situationen ihrer Klientinnen*. Oben beschriebene Mechanismen haben sich verstärkt und treffen auf noch größere Unsicherheit gerade bei Mädchen* und jungen Frauen*.
Das Kooperationsprojekt des Vereins Amazone und des Mädchen*treffs der Offenen Jugendarbeit Dornbirn, gefördert durch das Bundeskanzleramt, beschäftigte sich über eineinhalb Jahre mit geschlechtsspezifischer Gewalt und stellte die Lebensrealitäten von Mädchen* und jungen Frauen* in den Mittelpunkt. empowHER* setzte Maßnahmen, die Mädchen* und junge Frauen* dazu befähigen, ausgehend von ihren Lebensrealitäten Expertise aufzubauen und in der Folge sowohl an Peers als auch an Erwachsene weiterzugeben. Inhalte und Erkenntnisse aus diesem Prozess wurden anschließend für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht, um ein breiteres gesellschaftliches Bewusstsein für geschlechtsspezifische Aspekte von Gewalt aus Perspektiven von Mädchen* und jungen Frauen* zu bilden.
Im ersten Teil GET INVOLVED wurde in Form von Workshops Basiswissen zu geschlechtsspezifischer Gewalt gemeinsam mit den Teilnehmerinnen* erarbeitet sowie Handlungsmöglichkeiten und -strategien trainiert. "Im Projekt empowHER* ist wieder sichtbar geworden, wie wichtig und präsent die Thematik geschlechtsspezifischer Gewalt ist. Die Expertisen und Perspektiven der verschiedenen Mädchen* und jungen Frauen* haben das Projekt sehr bereichert. Es zeigt sich immer wieder, wieviel Gewalt Mädchen* und junge Frauen* ausgesetzt sind und wie wichtig es ist, diese aufzuzeigen und zu handeln." betont Katharina Buhri, Projektleiterin im Verein Amazone.
Im zweiten Teil GET ACTIVE gaben die ausgebildeten Peers ihre Expertise zu geschlechtsspezifischer Gewalt an andere Mädchen* und junge Frauen* in Schulen, Jugendzentren und in digitalen Räumen weiter. In diesen sehr unterschiedlichen mädchenrelevanten Settings gaben sie Inputs, teilten Informationen und standen als Ansprechpersonen zur Verfügung. In Schulen und Jugendhäusern fand die Weitergabe der Expertise in Form von Workshops statt. "Einmal betroffen wirken sich Gewalterfahrungen auf den gesamten Lebenslauf aus. Durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt stärkten wir die Lebenskompetenzen und förderten die Selbstwirksamkeit der Mädchen* und jungen Frauen*", ist sich Hannah Mzik, Leiterin des Mädchen*treffs der Offenen Jugendarbeit Dornbirn sicher.
Um die Erkenntnisse nachhaltig wirken zu lassen, wurden im dritten Teil GET VISIBLE im Rahmen von Kreativworkshops von den Teilnehmerinnen* ein Videoclip sowie Sticker und Bags mit starken Statements entwickelt, die Perspektiven, Anliegen und Handlungsansätze für Jugendliche jeden Geschlechts sichtbar machen. "Die Endprodukte sind der Wahnsinn, wir freuen uns, sie zu verbreiten", ist Sophia, 18 Jahre, sichtlich stolz.
Zudem wurde im Rahmen mehrerer Redaktionssitzungen mit Expert*innen aus verschiedenen Einrichtungen der Fachreader "Geschlechtsspezifische Gewalt in digitalen Räumen" für mit Jugendlichen Arbeitende erstellt. Der Reader dient als Informations- und Nachschlagewerk, liefert Antworten auf Fragen zum Thema Gewalt an Frauen* und Mädchen*, zeigt verschiedene Gewaltformen im Kontext der Digitalisierung auf, gibt Einblicke zu rechtlichen Hintergründen, unterstützt in der Präventions- und Aufklärungsarbeit und verweist auf bestehende Angebote sowie weiterführenden Informationen.
Die Inhalte und Erkenntnisse aus dem Projekt wurden im Zuge einer Abschlussveranstaltung interessierten Personen aus den Bereichen Schule, Sozial- und Jugendarbeit sowie Politik präsentiert. Dabei kamen auch die Peers – die teilnehmenden Mädchen* und jungen Frauen* - zu Wort:
"Das Projekt hat mir so gut gefallen! Wir konnten unserer Erfahrungen in einem sicheren Rahmen mit den anderen Teilnehmerinnen* teilen. Es war erschreckend zu spüren, dass wir alle als Mädchen* und Frauen* in unterschiedlichster Weise betroffen sind. Das Thema ist so wichtig und sollte unbedingt weiter gefördert werden", meint Lisa, 20 Jahre.
Im Rahmen von empowHER* ist es gelungen, Erfahrungen und Kompetenzen in der Wissensvermittlung mit Mädchen* und jungen Frauen* zu festigen und auszubauen. Zudem konnten Kommunikationskompetenzen erprobt und erweitert sowie Expertisen zum Thema durch kontinuierliche Auseinandersetzung gestärkt werden. Perspektiven konnten durch den Austausch mit Mädchen* und jungen Frauen* sowie mit Jugendlichen Arbeitenden und Bezugspersonen erweitert werden.
Es wurde sichtbar, wie umfangreich und vielschichtig geschlechtsspezifische Gewalt ist. Relevante Themen waren insbesondere:
- Sexismus,
- Homo- und Transfeindlichkeit,
- Gewalt im Netz,
- Gewalt im öffentlichen Raum (insbesondere auf dem Heimweg),
- sexualisierte Gewalt,
- sexuelle Belästigung,
- Catcalling und Street Harassment,
- strukturelle Gewalt.
Ebenso wurde klar, dass die Thematik sehr viele jugendrelevante Lebensbereiche – digitale Räume, Schule, Arbeitsplatz, öffentlicher Raum, Familie, Peer Group – umfasst. Die Expertisen und Perspektiven der teilnehmenden Peers erwiesen sich hier als besonders wertvoll und waren für das Projekt unverzichtbar. Fast alle beteiligten Mädchen* und jungen Frauen* hatten bereits Erfahrungen mit geschlechtsspezifischer Gewalt und schätzten die safe spaces, die im Rahmen des Projekts entstanden.
Die in empowHER* entstandenen Produkte sind am Artikelende abrufbar.
Informationen zu den beteiligten Organisationen
Verein Amazone
Seit 1998 setzt sich der Verein Amazone in Bregenz für die Anliegen von Mädchen* und jungen Frauen* sowie inter*, nicht-binären, trans* und agender Jugendlichen und somit für eine geschlechtergerechtere Welt ein. Der Verein arbeitet in drei Säulen:
- Das Mädchenzentrum ist ein Jugendzentrum für Mädchen* und junge Frauen* sowie inter*, nicht-binäre, trans* und agender Jugendliche von zehn bis 18 Jahren. In den Räumlichkeiten des Mädchenzentrums können sich Besucherinnen* in der Werkstatt handwerklich betätigen, im Proberaum üben, im Internet surfen, an der AmazoneBar abhängen, vielfältige Workshops besuchen oder einfach nur mal nichts tun.
- In der Mädchenberatung können sich Mädchen* und junge Frauen* sowie inter*, nicht-binäre, trans* und agender Jugendliche von zehn bis 25 Jahren sowie ihre Bezugspersonen mit allen ihren Anliegen an die Beraterinnen* wenden. Die Mädchenberatung ist kostenlos und mädchenparteilich und kann persönlich, telefonisch oder per E-Mail in Anspruch genommen werden.
- In der Fachstelle Gender werden Projekte, Seminare und Workshops für Menschen aller Altersgruppen und aller Geschlechter umgesetzt. Gemeinsam mit Schulen, Jugendzentren, Betrieben und der Politik wird an einer geschlechtergerechten Zukunft gearbeitet.
Mädchen*treff der Offenen Jugendarbeit Dornbirn
Der Mädchen*treff in der Bergmannstraße in Dornbirn ist ein zentraler, verkehrsmäßig sehr günstig gelegener und räumlich attraktiver Treffpunkt für Mädchen* und junge Frauen* im Alter zwischen zehn und 25 Jahren. Die hohe Diversität des Mädchen*treffs zeigt sich in dessen Offenheit für alle Mädchen* unabhängig von deren Herkunft, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität.
Die Befähigung von Mädchen* und jungen Frauen* zu einer eigenständigen Identitätsbildung und einer individuellen Gestaltung ihrer Lebenswelt ist dabei ein zentrales Anliegen, also die Fähigkeit des eigenständigen Gestaltens statt einer passiven Konsumhaltung. Geschlechtshomogene Räume ermöglichen die Wahrnehmung sowie das Erfahren individueller Fertigkeiten und Interessen jenseits genderspezifischer Rollenbilder.
Für die feministische Mädchen*arbeit und die parteiliche Mädchen*arbeit sind daher eigene und geschlechtshomogene Räume unabdingbar. Im Hinblick auf die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen stehen Bewusstseinsbildung, Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit im Mittelpunkt. Nicht zuletzt geht es darum, einen Beitrag zum zukünftigen sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft und zum sozialen Frieden zu leisten.