Gruppenangebot für Kinder getrennter/geschiedener Eltern
Im folgenden Beitrag wird das präventive Gruppenangebot für Kinder getrennter/geschiedener Eltern der Beratungsstelle für Paare und Familien im deutschen Städtchen Rheinberg beschrieben, einer Einrichtung des Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Wesel e.V. Neben der Kindergruppe kommen Menschen dorthin, die sich zu Paar- und Familienthemen, zu Trennung und Scheidung beraten lassen oder eine Familienmediation in Anspruch nehmen. Eine Trennung bzw. Scheidung erleben Menschen häufig als eine moderat bis extrem bedrohliche Lebenssituation. Dementsprechend schalten auch ansonsten wenig konfliktbereite Menschen in den Selbstverteidigungs- oder gar Kampfmodus gegen den:die (ehemalige) Partner:in als Gegner:in. Die Kinder bekommen Feindseligkeiten und eskalierende Situationen zwischen den Eltern mit und leiden. In den Kindergruppen sollen diese Kinder Entlastung und emotionale Unterstützung erfahren. Die Ausführungen basieren auf einem Interview, das Annemarie Schweighofer-Brauer mit ihrer Kollegin Gisela Török führte, die bereits seit 2005 solche Kindergruppen leitet.
Autorinnen: Gisela Török; Mitarbeiterin beim AWO Kreisverband Wesel e.V. in der Beratungsstelle für Paare und Familien (DE); Diplomsozialwissenschaftlerin; sozialtherapeutische Ausbildung, Ausbildungen in systemischer Familientherapie, systemischer Kinder- und Jugendlichentherapie sowie systemischer Paartherapie.
Mag.a Dr.in Annemarie Schweighofer-Brauer; Mitarbeiterin beim AWO Kreisverband Wesel e.V. in der Beratungsstelle für Paare und Familien (DE); Honorarkraft des Instituts für gesellschaftswissenschaftliche Forschung, Bildung und Information (FBI) (AT); freiberufliche Erwachsenenbildnerin; Studium der Geschichte und Politikwissenschaft, Diplom in TZI, HPP, Gestalttherapie.
Thema Juli 2024
"Ich bin einer, der eine Zeitlang bei Mama ist, und dann am Wochenende bei Papa."
Motivation und Zustandekommen
Gisela Török ist seit 2001 in der Beratungsstelle für Paare und Familien, kurz BPF, beschäftigt und arbeitet dort als Paar- und Familienberaterin. Eine weitere Mitarbeiterin der BPF deckt jeweils den Bereich der Trennungs-, Scheidungsberatung und Familienmediation ab. Zu Beginn ihrer BPF-Tätigkeit erkundigten sich bereits getrennte Eltern, ob es ein Angebot für ihre Kinder, die sie als belastet erlebten und um die sie sich Sorgen machten, gäbe. Eine Kollegin aus der AWO Integrationsagentur berichtete von Kindergruppen, die in einer Beratungsstelle in Wuppertal angeboten wurden. Die Recherche zu möglichen Arbeitskonzepten brachte Gisela Török auf das Gruppeninterventionsprogramm für Kinder mit geschiedenen oder getrenntlebenden Eltern von Wassilios E. Fthenakis (1987 bis 2002 Professor für angewandte Entwicklungspsychologie und Familienforschung an der Universität Augsburg und von 2002 bis zu seiner Emeritierung ordentlicher Professor für Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der Freien Universität Bozen). Dieses Programm erschien sehr geeignet, um Kinder dabei zu unterstützen, negative Auswirkungen der Trennung/Scheidung der Eltern zu vermindern. Die erste Kindergruppe der BPF führte Gisela Török 2005 durch, nachdem sie das Angebot bei den Jungendämtern der Region und über die Presse bekannt gemacht hatte. Danach wurde es für einige Zeit abwechselnd in der BPF und in der Integrationsagentur – dort mit Kindern aus Familien mit türkischer Migrationsgeschichte – gemeinsam mit der dortigen Kollegin angeboten. Die Finanzierung erfolgte über die gesetzlich verankerte Soziale Gruppenarbeit zur Unterstützung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. In den fast 20 Jahren seit 2005 haben regelmäßig zwei bis drei Gruppen pro Jahr stattgefunden und viele teilnehmende Kinder konnten gemeinsam in der Gruppe ihre Situation neu verstehen und einordnen lernen und dabei lustige, entspannende und anregende Momente erleben.
Die Kindergruppen nach dem Programm von Wassilios E. Fthenakis
Bevor die jeweilige Gruppe startet, werden die Kinder und deren Eltern, die auf der Warteliste stehen, zu einem Vorgespräch eingeladen. Die Kinder entscheiden dann, ob sie tatsächlich teilnehmen möchten. Auch der erste Gruppentermin gilt noch als Schnuppertermin. Danach ist die Teilnahme verbindlich. Abwechselnd werden Gruppen für Grundschulkinder und für elf- bis 13-jährige Kinder angeboten. Sechs bis acht Kinder, die sich untereinander meist nicht kennen – die BPF ist für einen großen Einzugsbereich, den Kreis Wesel zuständig – bilden die Gruppe.
Das Gruppeninterventionsprogramm umfasst zwölf Gruppentreffen zu je eineinhalb Stunden. Es besteht aus 4 inhaltlichen Blöcken mit je 3 Terminen.
Erster Block: Kennenlernen und Tuchfühlung mit dem Thema aufnehmen
In den ersten Treffen geht es darum, dass die Kinder sich mit Hilfe von Kennenlernspielen untereinander kennenlernen und sich allmählich an das Thema Scheidung/Trennung heranarbeiten. Während der ersten zwei Gruppenstunden gibt es kürzere Sequenzen dazu: Was bedeutet es, sich mit der Trennung der Eltern zu beschäftigen? Was bedeutet das Wort? Was fällt dir ein, wenn du das Wort hörst? Die Kinder sagen dann etwa: Ich muss jetzt auf eine andere Schule gehen; die Eltern wohnen nicht mehr zusammen. Manchmal fällt ihnen nichts ein, manchmal sprudeln sie. Die Kinder bekommen in dieser Phase Informationen der Gruppenleiterinnen: Warum trennen sich Eltern überhaupt? Was sind das für Institutionen, mit denen Eltern dann zu tun haben, wie Jugendamt, Gericht, Rechtsanwält:innen? Sie erklären, warum diese Leute und Institutionen in der Familie sind, und versuchen zu vermitteln, dass diese Menschen die Aufgabe haben, die Kinder zu unterstützen.
Beim dritten Treffen wird das Thema Geheimnisse behandelt, das viele Kinder getrennter Eltern stark belastet und verstört. Kinder werden von Eltern zu Geheimnisträger:innen gemacht, sie verheimlichen, was sie miterleben, wie es ihnen geht, was sie irritiert, um die Eltern nicht weiter zu belasten oder aus Sorge, den Eltern damit Stoff für weitere Eskalationen zu liefern. Das allein Sein mit Geheimnissen bewirkt Scham- und Schuldgefühle, die Kinder haben Angst vor den Konsequenzen der Veröffentlichung des Unausgesprochenen. In den Gruppenstunden nun, schreiben die Kinder Themen auf, pro Thema ein Zettel, über die sie nicht gerne sprechen, die sie verheimlichen würden. Die Zettel kommen unter eine Geheimnisdecke. Die Gruppenleiterinnen ziehen die Zettel nacheinander und lesen sie anonym vor. Die Kinder sprechen nicht, sondern nicken mit dem Kopf, wenn sie eine ähnliche Geschichte, wie die gerade vorgelesene, schon erlebt haben oder schütteln den Kopf, wenn das nicht der Fall ist. Sie erleben, dass es erleichtert, wenn ein Geheimnis – anonym – in einer Gruppe veröffentlich wird, in der Verschwiegenheit ausgemacht wurde. Sie erleben mit dem Kopfnicken anderer Kinder, dass sie nicht die einzigen sind, die so eine Situation kennen. Die Gruppenleiterinnen besprechen mit den Kindern im Anschluss gute und schlechte Geheimnisse. Gute Geheimnisse – eine Überraschung zum Geburtstag nicht zu verraten etwa – erzeugten angenehme Gefühle. Die Leiterinnen fragen die Kinder, wie sie sich fühlen, wenn sie schlechte Geheimnisse hüten müssen, und die Kinder wissen genau, was das mit ihnen macht. Sie haben Angst vor negativen Konsequenzen, Angst ausgelacht zu werden, spüren Druck, fühlen sich traurig, haben Bauchweh. Die Kinder lernen, die Gruppe zu nutzen, um Dinge zu besprechen, die sie innerlich sehr beschäftigen und von denen sie meinten, sie mit sich ausmachen zu müssen. Die anderen Kinder kennen ähnliches, sind mitfühlend und fragen nach – z. B. wenn es eine Gerichtsverhandlung gab, in der über den Umgang entschieden wurde: Wie ist das jetzt für dich, wie es jetzt geregelt ist, dass du nicht mehr bei Mama bist, sondern zu Papa musst?
Zweiter Block: Gefühle wahrnehmen, benennen und mit unangenehmen Zuständen umgehen
Der zweite Block widmet sich dem Bereich der Gefühle. Es wird mit verschiedenen Kärtchen und Bildern gearbeitet und erkundet, welche Gefühle die Kinder kennen und benennen können. Mithilfe der Bildkarten geht es darum, das Spektrum verbal ausdrückbarer Gefühle zu erweitern: Such dir ein Bild aus, das zu deiner Stimmung passt. Welche Gefühle kamen, als du gehört hast, dass deine Eltern sich trennen? Die Kinder benennen etwa Angst, Trauer, Wut, Verzweiflung, Einsamkeit. In jeder Gruppenstunde ab der dritten werden die Kinder ermutigt, ihre Befindlichkeit zu beschreiben, um das zu üben und auch um sich bewusst zu werden, dass Gefühlszustände sich verändern: Z. B. der Lehrer hat mich vormittags gelobt und ich fühlte mich ganz stolz, nachmittags hatte mich jemand geärgert, da fühlte ich mich traurig oder genervt, abends ging es mir wieder gut. Das Gruppenkonzept beinhaltet, den Bewusstwerdungsprozess zu fördern, dass die Kinder nach unangenehmen Gefühlen wieder in der Lage sind, zu einem angenehmeren Gefühlszustand zu gelangen. Daraus wird erarbeitet, was ein Kind, wenn Eltern sich beispielsweise streiten, machen kann, damit es ihm wieder besser geht. Die meisten Kinder wissen, was sie tun. Etwa: Ich gehe spielen; ich gehe ins Zimmer und höre Musik; ich gehe zu Oma und sie tröstet mich. Bewusst wird auch, dass manchmal mehrere Gefühle gleichzeitig da sind und dass aus unangenehmen Zuständen manchmal Aggressivität oder Wut entstehen.
Vor einigen Jahren wurde die Presse zusammen mit – in Absprache mit den Eltern – ehemalig teilnehmenden Kinder eingeladen. Diese wurden von der Redakteurin gefragt, was ihnen am meisten half in der Kindergruppe. Ein Junge sagte, dass er in seinem Gefühlschaos, unterschiedliche Empfindungen für sich sortieren und verstehen konnte, dass er diesem Chaos dann nicht mehr so ausgeliefert war. Vorher hatte er oft Bauchschmerzen gekriegt, war durcheinander, hatte ganz viel Angst. Auch die Erklärungen der Gruppenleiterinnen, warum sich Eltern trennen, halfen ihm, das Gefühl loszulassen, dass er das hätte verhindern können oder dass es seine Schuld gewesen wäre.
Die Übungen zu Gefühlen machen den Kindern große Freude. Sie drücken Gefühle im Rollenspiel aus; sie unterscheiden, während sie durch den Raum gehen, Körperhaltungen, die mit bestimmten Gefühlen einhergehen: Wenn ich traurig bin, gehe ich gebeugt, eingeengt. Oder wenn ich fröhlich und lustig spiele, gehe ich aufrecht, tänzelnd durch den Raum. Diese Erfahrung können sie nutzen, um sich aus den Wellentälern der Gefühle immer wieder herauszuschwingen.
Dritter Block: Erfüllbare und unerfüllbare Wünsche – Realitätsabgleich und Lösungswege
Im dritten Block befassen sich die Kinder mit erfüllbaren und nicht erfüllbaren Wünschen. Die Gruppenleiterinnen besprechen mit den Kindern Situationen, die für sie schwierig sind. Die Kinder machen dazu Rollenspiele. Sie reflektieren, wenn sie Veränderung möchten, wo sie selber wirksam werden und wo sie keinen Einfluss nehmen können. Dabei erkunden sie Situationen, in denen die Eltern beispielweise streiten, die die Kinder kaum aushalten. Der Wunsch ist dann, die Eltern mögen aufhören, sich gegenseitig anzugiften. Mit den Kindern wird besprochen, ob der Wunsch realistisch ist und wahr werden kann. Wenn sie denken, dass das der Fall ist, wird gefragt, ob sie etwas dafür tun können. Sie kommen dann schnell zur Erkenntnis, dass das nicht möglich ist. Was sie machen können, ist, aus dieser Situation rauszugehen. Die Gruppe ist auf diesem Erkenntnisweg hilfreich. Alle Kinder kennen solche Situationen und tauschen sich zu unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten aus, sie hören das voneinander und nehmen etwas mit für sich. Die Kinder sollen dadurch von der Verantwortung entlastet werden, es hinkriegen zu müssen, dass die Eltern nicht mehr streiten oder sich sogar versöhnen. Wenn die Leiterinnen fragen: Was könntest du tun? kommen manchmal Ideen, um die Eltern wieder zusammen zu bringen. Die Gruppe wird dann gefragt: Kann "xy" das erreichen, dass die Eltern wieder zusammen sind? Mithilfe einer Ampel beantworten die anderen Kinder diese Frage und zwar meist mit dem roten Licht auf der Ampel. Die Wirksamkeit ist größer, wenn die Kinder das untereinander kommunizieren.
In den letzten Gruppen stellten Gisela Török und ihre Kollegin Annette Boniek, mit der sie die Gruppe leitet, fest, dass ältere Kinder häufiger als in früheren Gruppen davon ausgehen, die Wiedervereinigung der Eltern erreichen zu können. Diese Kinder sind dann bereit, sich sehr anzustrengen, um diese Verantwortung zu tragen. Sie sind sehr aufmerksam und beobachten, wenn es Mama oder Papa schlecht geht, sind dann schnell dabei und einfallsreich, um die Eltern zu versorgen. Das hat zur Folge, dass sie viel weniger Zeit haben, sich um ihre Sachen, um das, was in der jeweiligen kindlichen Entwicklungsphase ansteht, zu kümmern. Die Eltern berichten oft bei der Anmeldung, dass Kinder sich in der Schule nicht mehr so konzentrieren können, schlechter geworden sind, körperliche Symptome haben, wie Bauchschmerzen und Kopfschmerzen, oder dass sie nicht zur Schule gehen wollen, weil sie befürchten, dass der andere Elternteil auch noch weggeht, während sie in der Schule sind. In der Gruppe geht es darum, die Kinder von dieser Verantwortung für die Eltern zu entlasten.
Vierter Block: Reflexion, Erkenntnisse, Feier und Abschied
Im letzten Block wird reflektiert: Was haben die Kinder gelernt, was nehmen sie mit? Die Kinder erhalten positive Rückmeldungen von den Leiterinnen. Während aller Gruppenstunden werden die Kinder sehr ernst genommen und respektvoll behandelt. Sie sollen eine gute, entspannte, stressfreie Zeit erleben, da bei vielen Kindern, sobald sie dann nach Hause gehen, der Stress wieder losgeht, z. B. bei der Übergabe von einem Elternteil zum anderen.
Im vierten Block agieren die Kinder als Expert:innen. Sie denken sich Fragen zu Trennung/Scheidung aus. Beispielsweise: Muss ich zum neuen Freund von Mama, Papa sagen? Warum trennen sich Eltern? Gibt es Möglichkeiten, dass sie wieder zusammenkommen? Wie schaffen es die Kinder, dass es ihnen wieder besser geht? Die Kinder geben sich lustige Expert:innennamen, z. B. Prof. Dr. Ichweißnix, und antworten in dieser Rolle auf die Fragen. Dazu wird beispielsweise eine Talkshow veranstaltet oder eine Runde, in der die Kinder nacheinander den Expert:innenhut aufsetzen und die in der Mitte liegenden Fragen ziehen und beantworten. Ihre großartigen Antworten zeigen, wieviel die Kinder mitbekommen; wenn der:die Expert:in etwa feststellt: "Ich würde sagen, nein, du musst nicht zum Freund deiner Mama, Papa sagen, der Papa ist der Papa und der Freund ist der Freund."
Im letzten Block kreieren die Kinder gemeinsam eine Zeitung, in der die während des im Verlauf des Programms behandelten Themen wieder auftauchen. Während der Gruppenstunden werden die Inhalte auf dem Flipchart oder auf Kärtchen dokumentiert und zum Zeitungmachen nochmal im Raum aufgehängt und ausgebreitet. Die Kinder gestalten für die Zeitung z. B. Bildergeschichte, sie malen Gefühle oder schreiben ein kleines Interview auf.
In der letzten Gruppenstunde wird Abschied gefeiert. Die Kinder bekommen die Mappe mit ihren Produkten, die während des Gruppenprozesses entstanden sind, überreicht. Jedes Kind lädt zur Abschiedsfeier zwei Leute ein, Mama, Papa oder andere Verwandte, manches Kind bringt auch eine:n Freund:in mit. Es wird gemeinsam gegessen und es werden Gruppenspiele durchgeführt, an denen alle Spaß haben. Wenn beide Eltern kommen, können sie dokumentieren, dass sie für ihre Kinder an diesem Nachmittag gut miteinander auskommen können.
Elternabende
Während des zwölfwöchigen Gruppenprogramms finden 4 verpflichtende Elternabende statt, 2 für die Mütter und 2 für die Väter. An diesen Abenden erhalten die Eltern Informationen dazu, wie Kinder verschiedener Altersstufen jeweils auf eine Trennung/Scheidung der Eltern reagieren, in welchen Symptomen sich ihr Leiden äußern kann und wie Eltern ihre Kinder unterstützen und fördern können; auch was sie unterlassen sollten, wie etwas das Streiten vor den Kindern oder die Abwertung des anderen Elternteils dem Kind gegenüber. Die Eltern bekommen Raum, sich untereinander auszutauschen, für Themen, die sie besprechen und diskutieren möchten.
Der Gewinn der Kinder durch die Teilnahme an der Kindergruppe
Kinder erfahren in der Gruppenzeit, dass sie nicht alleine mit dem Thema Trennung der Eltern sind, dass andere Kinder ähnliche Erfahrungen machen, dass sie offen darüber sprechen können, was sie sonst – etwa in der Schule – nicht machen, obwohl es immer mehr getrennte Familien gibt. Die Kinder erleben in der Gruppe gegenseitige Unterstützung und gerade, wenn die Trennung noch frisch ist, eine entspannte Zeit mit kreativem Tätigsein, gemeinsamem Naschen und Knabbern in der Pause, mit Spielen und Bewegung. Die Kinder kommen gerne und freuen sich auf die Stunden. Kinder aus früheren Gruppen bekunden, wenn die Gruppenleiterin ihnen Jahre später zufällig begegnet, dass ihnen diese Erfahrungen immer noch im Gedächtnis sind und sie ab und zu ihre Mappen durchblättern.
Die Eltern bemerken, dass ihre Kinder entspannter werden und offener kommunizieren können; etwa dass sie den Wunsch haben, den Elternteil, bei dem sie nicht wohnen, öfter zu sehen. Die Situation lässt sich nicht komplett verändern, aber Kinder kommen einen Schritt weiter in Verständnis der Situation und damit, besser klarzukommen. Sie lernen, dass die neue Familienform, die sich entwickelt, ein neuer Normalzustand wird. Ein Junge gab diese Rückmeldung, dass er in der Gruppe ermutigt wurde, nachdem er sich innerlich sehr dagegen gewehrt hatte und verzweifelt war, das Neue als einen normalen Zustand zu akzeptieren, "… dass er eben einer ist, der eine Zeitlang bei Mama ist und dann am Wochenende bei Papa."
Die Kinder beginnen, in der neuen Situation auch Vorteile zu sehen, wenn z. B. neue Kinder mit dazukommen, weil die neue Freundin von Mama auch zwei Kinder hat; dass das getrennte Leben auch angenehmer sein kann, als mit ständig streitenden Eltern zu wohnen. Die Skala des elterlichen Verhaltens nach Trennung geht von, die Kinder achtsam und gut zu versorgen, bis zu häuslicher Gewalt, Prügeleien und Polizeieinsätzen beim Wechsel von Mama zu Papa. Dieses Spektrum bildet sich in den Gruppen mehr oder weniger ab. Die Kinder erfahren von den anderen Kindern, wie schwierig es sein kann. Eltern machen sich dann Sorgen, ob das ihr Kind zusätzlich belastet. Gisela Török nimmt wahr, dass die Kinder Verständnis und Mitgefühl füreinander zeigen, sich gegenseitig trösten, dass sie die Probleme der anderen Kinder aber nicht übernehmen.
Der große Gewinn für die Kinder ist, dass, nachdem sie lange unter der Trennung leiden, nicht darüber reden und auf die Eltern Rücksicht nehmen, sie nun Zeit haben, sich mit sich selber zu beschäftigen. Sie entlasten sich, indem der Elefant im Raum – die Trennung der Eltern – benannt sowie besprechbar wird und eine Normalität gewinnt. Entlastend wirkt auch, dass die Kinder scham- und schuldbeladene Gefühle und Gedanken äußern, etwa dass sie manchmal wütend auf die Eltern sind, dass sie deren Verhalten doof finden. Diese Themen werden enttabuisiert und verlieren den Charakter des Geheimnisses, über das man nicht sprechen darf. Das Thema verliert einiges an Schwere. Das ist der größte Gewinn der Kinder durch die Kindergruppe.
Diese Lerngewinne werden möglich durch die Gemeinschaft. In den Gruppen gab es nie Außenseiter:innen. Das Thema verbindet die Kinder. Sie befassen sich mit kreativen Übungen, beschäftigen sich mit ihren Gefühlen und erhalten Aufmerksamkeit dafür. Ihre Kompetenz ist gefragt, wenn sie etwa andere Kinder mit ihren Ideen unterstützen. Sie erleben Selbstwirksamkeit.
In der vorletzten Gruppenstunde gibt es eine sehr schöne Übung, den heißen Stuhl. Jedes Kind darf sich in die Mitte setzen und wird von den anderen mit Komplimenten überschüttet. Da passierte es auch schon, dass einem Kind kein Kompliment einfiel und es dann sagte: "Du hast schöne Haare." Das angesprochene Kind freute sich sehr.
Das Gruppenprogramm ist voll gespickt mit schönen Elementen und trotzdem besteht immer die Möglichkeit es anzupassen, neue Ideen, Spiele und Übungen reinzubringen. Im Arbeitskontext der BPF melden Eltern, die zur Beratung kommen, ihre Kinder häufig für die Kindergruppe an. Aber auch umgekehrt, wenden sich Eltern zur Trennungsberatung oder Mediation an die Beratungsstelle, um sich außergerichtlich zu einigen, nachdem ihre Kinder an der Kindergruppe teilgenommen haben. Auch das ist eine gewinnbringende Wirkung der Kindergruppen.
Literatur
- Fthenakis, Wassilios E. u. a. (1995): Gruppeninterventionsprogramm für Kinder mit getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern, Weinheim und Basel: Beltz Verlag
- Fthenakis, Wassilios E./Walbiner, Waltraut/Wolf, Jürgen (1995): Gruppeninterventionsprogramme für Kinder, in: Gruppeninterventionsprogramme für Kinder mit getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern, S. 11-37
- Rücker, Stefan/Walper, Sabine/Petermann, Franz/Büttner, Peter (2023): Befunde der Studie: "Kindeswohl und Umgangsrecht" – Wohlergehen von Kindern in Trennungsfamilien, Schlüchtern: Forschungsgruppe PETRA.